Wildwood

singen:
    Sawyer war Anwalt, er liebte das Geld,
scheffelte gierig, was das Zeug hält.
Nahm von den Armen, täuschte die Schwachen,
ließ ihnen am Leibe nichts als die Sachen.
Jock Roderick, der tapfere Räuber von Hanratty Cross

    Auf der Langen Straße ritt Sawyer daher,
Mai war’s, sein Goldsäckel wog ihm schwer.
Wer kommt da des Wegs, die Pistolen gezückt,
dort oben am Hügel? Jock Roderick!
Jock Roderick, der tapfere Räuber von Hanratty Cross

    Sagt Sawyer: »Hey, Jock, ich schlag dir was vor.
Hab ’ne Witwe in Südwald, die ’nen Prozess verlor.
Die quetschen wir aus, das reicht für uns beide!«
Doch Jock bleibt nur reglos dort auf der Heide.
Jock Roderick, der tapfere Räuber von Hanratty Cross

    »Hast ganz recht«, sagt Sawyer, »das genügt dir doch nie,
ich verklage ’nen Blinden, weil er nichts sieht.
Wir teilen das Geld, halbe-halbe, wie wär es?«
Doch Jock sitzt nur stumm auf dem Rücken des Pferdes.
Jock Roderick, der tapfere Räuber von Hanratty Cross

    »Keine Sorge«, sagt Sawyer, »wir werden schon satt,
ich verklage ’ne Waise, weil sie kein’n Vater hat.
Da bleibt für uns beide mehr als genug!«
Doch Jock rührt sich nicht, den Finger am Abzug.
Jock Roderick, der tapfere Räuber von Hanratty Cross

    »Was möchtest du, nur zu, denn ich weiß,
jeder hat eine Schwäche, jeder hat seinen Preis.
Gleich was es auch sei, brauchst es nur zu sagen!«
Drauf Jock: »Dich nackt durch ganz Südwald jagen.«
Jock Roderick, der tapfere Räuber von Hanratty Cross

    So nahm Jock dem Anwalt sein Hab und sein Gut,
zog ihn aus bis aufs Hemd, ließ ihm nicht mal den Hut.
Ganz Südwald sollt’ sehen, dass, selbst mit nacktem Leib,
ein Anwalt immer ein Anwalt bleibt.
Jock Roderick, der tapfere Räuber von Hanratty Cross
    Die Höhle brach in schallendes Gelächter aus und applaudierte dieser letzten Strophe, bis die Käfige wackelten. Selbst Curtis konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Nur Dmitri, der Kojote, rief bissig aus seiner Ecke: »Schönes Lied, Jungs, echt schön.«

FÜNFZEHN
Die Lieferung
    D as Hämmern hatte aufgehört. Jetzt steckte auch der letzte Nagel fest im Holz der Kiste, und Prue war allein in der Dunkelheit und lauschte den Geräuschen von draußen. Von Enver hatte sie sich mit dem Versprechen verabschiedet, sich hinter der Grenze wiederzutreffen; bei Richard hatte sie sich noch einmal bedankt und dann ruhig dagesessen, während er sie verpackte. Plötzlich ertönte ein lautes Donk , der Klang von Holz auf Metall, und sie merkte, wie sie zur Seite kippte, wie die Welt sich unter ihr verschob – die Kiste war auf eine Sackkarre geladen worden,
vermutete sie, und wurde nun – bong! – zum Laderaum des Lieferwagens geschoben. Sie war mit dem Scheitel an den Deckel gestoßen und unterdrückte einen Aufschrei. Von draußen hörte sie Richard »Entschuldigung« flüstern, gefolgt von: »Wir sehen uns auf der anderen Seite!« Ein Scheppern. Schritte. Das Anlassen des Motors und ein knirschendes Rasseln, als der Gang eingelegt wurde und der Wagen anfuhr.
    Prue verlagerte ihr Gewicht und versuchte, den Druck zu ignorieren, den sie schon jetzt auf den abgewinkelten Kniegelenken spürte. Den Platz in ihrer Kiste teilte sie sich mit einer Handvoll Holzspänen und Papierschnipseln, Füllmaterial, das noch von der Verpackung der letzten Lieferung übrig gewesen war. Es roch leicht nach Wachs.
    Der Lieferwagen fuhr über ein Schlagloch, sodass die Kiste heftig wackelte und Prue seitlich an die Wand knallte. Dieses Mal brüllte sie laut: »AUA!«, als ihr Knie gegen das Holz schlug. Sie stützte sich seitlich ab und setzte sich wieder aufrecht hin, auf weitere Erschütterungen gefasst.
    Als der Straßenbelag von rauem Kies zu glatten Pflastersteinen überging, ließen die Stöße nach. Der Motor ratterte in einen höheren Gang, und das Postauto fuhr schneller. Prue konnte hören, wie der Wind an den Seiten vorbeipfiff. Auf diese Weise verging eine Viertelstunde, währenddessen Prue sich an die Fahrt gewöhnte; sie atmete jetzt ruhig und gleichmäßig. Das Rauschen des Motors
wurde nur hin und wieder vom fernen Heulen einer Sirene übertönt – die Vogelrazzia wurde eindeutig fortgesetzt.
    Die Zeit verrann. Prue fiel ein, dass sie in den vergangenen zwei Tagen nur wenig geschlafen hatte; plötzlich konnte sie kaum noch die Augen offen halten. Sie gab es auf und schlummerte sofort ein – und die Sorge über ihre missliche Lage schmolz dahin wie Kerzenwachs.
    Bis der