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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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nicht besonders gemütlich. Schließlich entschied er sich für eine Stelle gegenüber der Tür; dort befand sich eine Vertiefung in einem der Zweige, die ihm eine Art Sitzfläche bot, und auf dieser wollte er abwarten, bis die Räuber sich ausgetobt hatten. Eine gute halbe Stunde machten sie sich noch über ihn lustig, doch da das Opfer ihres Spotts beharrlich schwieg, wandten sie ihre Aufmerksamkeit schließlich anderen zu: zuerst dem Kojoten Dmitri, der ihnen die Beleidigungen allerdings mit gleicher Münze heimzahlte, und dann einander, indem sie den Räuberkumpanen ihre Heldentaten und Tollkühnheiten unter die Nase rieben.
    »Drei Meter?«, tönte einer. »Da spring ich ja im Schlaf weiter! Drei Meter.«
    »Ach ja?«, fragte ein anderer. »Ich würde ja zu gern wissen, wie weit dein bester Sprung war, Cormac.«
    Cormac, der etwas weiter außen an derselben Wurzel wie Curtis hing, erwiderte lässig: »Zehn Meter, locker. Der Abstand von ungefähr fünf Bäumen. Und zwar keine kleinen Schösslinge, wir reden hier von ausgewachsenen Tannen. Das war während des großen Überfalls, letzten August. Connor hat mich gesehen. Ich sitze oben in einer gigantischen Zeder, und plötzlich kommt eine heftige Böe auf und ich höre ein lautes Knacken und sehe nach unten und der ganze Wipfel spaltet sich. Na ja, ich war so weit oben, dass kein richtiger
Baum mehr in der Nähe war, nur ein paar Tannen viel weiter unten. Blitzschnell schaue ich mich um und da steht – ich schwör’s, fünf Tannen weiter, mindestens zehn Meter – noch ’ne Zeder in derselben Größe. Also halte ich mich an der Spitze fest, setze meinen Fuß in die höchste Astgabel und springe einfach, was die Beine hergeben, genau in dem Moment, als die alte Zeder auseinanderbricht. Und schwupp hänge ich an dem anderen Baum. So wahr ich hier stehe, meine Herren. Zehn Meter.«
    Ein Schnauben ertönte von unten. »Aber klar doch«, spottete der Räuber. »Ich hab von Connor gehört, dass die Zedernspitze einfach umgeknickt und genau in den anderen Baum reingekracht ist – du hättest problemlos von Ast zu Ast gehen können, wenn du dir nicht vor Schreck die Augen zugehalten hättest!«
    Cormac protestierte lautstark. »Eamon Donnell, pass bloß auf, ich häng dich an den Zehen auf, wenn ich dich in die Finger kriege – sobald wir hier raus sind, haben wir beide ein Hühnchen zu rupfen.«
    »Spart euch den Atem, Jungs«, riet ihnen der Räuber oben links von Curtis’ Käfig. »So schnell werden wir das Tageslicht nicht zu sehen bekommen.«
    »Da kannst du Recht haben«, sagte ein anderer. »Hey, Angus, deine bessere Hälfte wird wohl nicht unbedingt auf dich warten, was?«
    Angus, ein Mann mit krächziger Stimme, dessen Käfig ganz außen an der Wurzel hing und das Hanfseil schwer nach unten zog,
seufzte. »Ich hoffe doch. Das Kleine kann jetzt jeden Tag kommen. Hatte eigentlich gehofft, bei der Geburt dabei zu sein.« Hilflos trat er gegen die Holzstäbe, wodurch sein Gefängnis langsam zu schaukeln begann. »Blöde Käfige. Blöde Kojoten. Blöder Krieg.«
    Dmitri hatte während dieses Schlagabtauschs überwiegend geschwiegen, doch nun schaltete er sich wieder ein. »Jetzt aber mal halblang. Manche von uns Kojoten wollen genauso wenig mit all dem hier zu tun haben wie ihr. Zufällig wartet auf mich ein Wurf Welpen zu Hause in meinem Bau. Die hab ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen! Wahrscheinlich sind sie schon ausgewachsen, bis ich zurückkomme. Falls ich zurückkomme.«
    Zu diesem aufrichtigen Geständnis fiel selbst den Räubern nichts mehr ein; für eine Weile wurde es ganz still, während jeder der Gefangenen in seine eigenen Träumereien versank. Schließlich meldete sich Angus zu Wort. »Hey, Seamus«, rief er.
    »Ja?«
    »Sing uns ein Lied«, bat Angus. »Nichts zu Trauriges, wenn’s geht – irgendwas, um die Stimmung ’n bisschen aufzuheitern.«
    Die anderen Räuber murmelten im Chor ihre Zustimmung.
    Seamus, der Bandit genau über Curtis – der Spucker höchstpersönlich –, drehte sich um und fragte die anderen: »Was denn, so was wie ›Die Jungfer von Wildwald‹?«
    Cormac stöhnte. »Um Himmels willen, nein, nicht so was Schmalziges. Irgendwas, um uns auf andere Gedanken zu bringen.«
    Eamon schlug vor: »Wie wär’s mit dem über den Anwalt – den Anwalt und Jock Roderick?«
    Der Vorschlag kam gut an und wurde lautstark begrüßt.
    Also nickte Seamus, straffte die Schultern und begann mit angenehmer, melodischer Stimme zu

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