Wildwood
Reihe waren, ertönte ein lautes Scheppern von unten.
»Macht den Hals zu, ihr Penner!«, rief jemand. Es war der Wärter.
Er stand mitten in der Höhle und schlug mit seinem großen Schlüsselbund gegen einen runden, rußgeschwärzten Kessel. »Essen fassen!« Ein Trupp von vier Soldaten begleitete ihn; zwei trugen den Holzspieß, an dem der Topf hing, zwei hielten Wache an der Tür. Der Wärter ging zu der Wand, an der die Riesenleiter lehnte, und holte eine Stange von ähnlicher Höhe, an deren oberem Ende eine große hölzerne Schöpfkelle befestigt war.
»Haltet eure Näpfe bereit!«, ertönte die nächste Anweisung.
Die Gefangenen brummelten und krochen in ihren Zellen herum, bis alle Käfige ins Schaukeln und Drehen gerieten wie Kugeln an einem wackeligen Weihnachtsbaum. Zwischen den Gitterstäben wurden einzelne Arme herausgestreckt, schwarz vor Schmutz, mit großen Blechschüsseln in den Händen. Curtis sah sich um und stellte jetzt erst fest, dass auch sein Käfig mit Essgeschirr ausgestattet war. Also hielt er seine Schale ebenso wie seine Mithäftlinge nach draußen. Der Wärter tauchte die Kelle in den Kessel und balancierte dann die Stange vorsichtig hoch in die Luft, um die Schüsseln der Gefangenen eine nach der anderen zu füllen. Als sein Blechnapf an der Reihe war, spritzte ein wenig von dem suppenartigen Essen auf Curtis’ Hand, und er zuckte zusammen – schließlich rechnete er damit, dass es heiß wäre; doch zu seiner Enttäuschung war es eher lauwarm.
Als er fertig war, stellte der Wärter die Stange zurück an ihren Platz – mit der Schöpfkelle nach unten in den Dreck, wie Curtis
unfreiwillig bemerkte – und scheuchte die Soldaten aus der Höhle. Bevor er selbst ging, drehte er sich noch einmal um und wünschte seinen Gefangenen ein hämisches »Bon appétit«.
Curtis betrachtete den Inhalt seiner Schale eingehend; es war eine milchige Brühe, in der kleine nahrungsähnliche Gegenstände schwammen. Curtis piekte einen davon mit dem Finger an; es schien ein Knorpel eines undefinierbaren Tiers zu sein.
Seamus rief von oben: »Schau dir das bloß nicht zu genau an, Junge! Iss einfach.«
Curtis sah auf und kniff die Augen zu, ehe er die Schüssel an die Lippen hob und einen ordentlichen Schluck nahm. Es war ekelhafter als alles, was er jemals im Leben gegessen hatte – den Grünkohl seiner Mutter mit eingerechnet. Wobei das Schlimme gar nicht so sehr der Geschmack war, sondern der beträchtliche Mangel an Geschmack, denn so kam die Konsistenz der Knorpel und sonstigen unbekannten Suppenobjekte auf dem Gaumen erst richtig zur Geltung. Curtis würgte laut. Die Räuber hatten offenbar nur auf diese Reaktion gewartet und prusteten vor Lachen.
»Gewöhn dich dran, Kleiner«, rief einer.
»Es geht doch nichts über Hausmannskost, was, Außenweltjunge?« , brüllte ein anderer.
»Igitt!« Curtis stellte die Schüssel auf den Käfigboden. »Was ist das für Zeug?«
»Eichhörnchengehirn, Taubenfüße, Stinktiersehnen – alles serviert
in einer gesunden Brühe aus verdorbener Milch«, verkündete Angus.
Dmitri, der Kojote, konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen. »So übel ist es gar nicht – ich hab in der Kantine schon Schlimmeres bekommen, glaubt mir!«
Curtis betrachtete die Suppe stirnrunzelnd. »Vielleicht esse ich später weiter«, sagte er zu niemandem im Speziellen. »Hab gerade nicht so großen Hunger.« Er lehnte sich an die Gitterstäbe und starrte auf den Höhlenboden unter ihm, während er dem gierigen Schlürfen seiner Zellennachbarn lauschte. Oh Gott , dachte er, bitte lass mich hier bloß nicht so lange bleiben, dass ich mich auch noch an das Zeug gewöhne .
Zu Curtis’ größter Überraschung erklang plötzlich eine Stimme irgendwo in seinem Käfig. »Isst du das noch?«
Curtis sprang auf und suchte nach dem Sprecher. In der hintersten Ecke der Zelle stand auf die Hinterläufe aufgerichtet eine große, drahtige graue Ratte. Erwartungsvoll leckte sie sich die Lippen und rieb die dürren Finger gegeneinander. »Also, wie sieht ’s aus?«
»Wer bist du?«, fragte Curtis streng. »Und was machst du in meinem Käfig?«
Seamus schmatzte von oben mit vollem Mund: »Das ist Septimus. Septimus, die Ratte. Septimus, darf ich vorstellen: Curtis, unser neuer Freund.«
Cormac fügte noch ergänzend hinzu: »Septimus ist ein Herumtreiber. Nicht mal ein Häftling. Der lungert hier aus freien Stücken rum.«
Septimus vollführte eine theatralische Verbeugung.
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