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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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sind doch schon am Fürstentum«, unterbrach Prue. »Ihre Soldaten stehen überall an der Grenze, das hat der General gesagt. Und kaum waren wir in Wildwald, als einer Ihrer Kojoten
uns abgeschossen hat, den Adler und mich.« Sie verlor den Faden. Das Bild ihres kleinen Bruders, blass und still auf einem Bett aus Moos und Zweigen, verfolgte sie immer noch. »Und jetzt ist dieser Adler tot. Warum? Warum mussten Sie ihn erschießen?«
    »Ein bedauerlicher Unglücksfall. Nenn es einen Kollateralschaden.«
    »Ich nenne es kaltherzig.«
    Die Gouverneurin räusperte sich. »Das sind eben die vereinbarten Regeln, meine Liebe. Wildwald ist eine Flugverbotszone für Militärvögel. Es mag dir ja als einfacher Gratisflug mit einem netten alten Bussard verkauft worden sein, aber ich kann dir versichern, dass verdächtigere Absichten im Spiel waren. Überflüge, mitternächtliche Attacken, Adler und Eulen, die wehrlose Kojotenjunge hochheben und zu Tode stürzen lassen – das ist die übliche Vorgehensweise der Vögel. Ich glaube, in deiner Heimat nennt man das Säuberungen .«
    Prue starrte die Gouverneurin an. Dann schüttelte sie den Kopf, den Blick auf ihre Turnschuhe gesenkt, die vor Schlamm und Schmutz ganz braun waren. »Das kann ich nicht glauben«, sagte sie halblaut.
    Alexandra beobachtete Prue aufmerksam. »Wie alt bist du, meine Liebe?«, fragte sie.
    »Zwölf.« Prue sah auf.
    »Zwölf«, wiederholte Alexandra nachdenklich. »So jung.« Sie straffte die Schultern. »Wenn ich ganz offen sein darf: Ich finde
es bewundernswert, dass du hierher, in eine für dich so fremde Welt gekommen bist, um deinen kleinen Bruder zu finden und zu beschützen. Sehr bewundernswert für eine so junge Dame. Dein Mut ist außergewöhnlich. Ich muss sagen, ich wäre sehr ungern für die Entführung des Jungen verantwortlich! Du würdest dich zweifellos als unermüdliche Gegnerin erweisen.« Ihre unruhigen Finger fanden jetzt festen Halt an den Kanten der Armlehnen. »Allerdings wird ein so kluges Mädchen wie du sicher begreifen, wie gefährlich es ist, sich in Angelegenheiten einzumischen, die jenseits deines Erfahrungshorizonts liegen. Die Dinge sind selten so einfach, wie sie scheinen – auf den ersten Blick mag eine Räubersippe ja ganz sympathisch wirken mit ihrem kitschigen ›Von den Reichen nehmen und den Armen geben‹; auf den ersten Blick mag eine Vogelkolonie vielleicht unbekümmert ihre Grenze ›verteidigen‹. Aber sieh es mal von der anderen Seite: eine Bande blutrünstiger, unmoralischer Mörder und eine Gesellschaft, die aus Gier nach Land unbedingt ihre Grenzen ausdehnen will. Wie ist es wirklich?«
    Prue merkte plötzlich, dass das keine rhetorische Frage war; die Gouverneurin wartete auf eine Antwort.
    »Ich …«, begann sie. »Ich weiß es nicht.« In ihrem Kopf purzelten die Ereignisse der letzten Tage wild durcheinander, verschwammen in einem Nebel aus Erschöpfung, Schlafmangel und Angst. Sie stellte sich ihren Vater und ihre Mutter vor, außer sich vor Kummer und Sorge, nicht nur um eines ihrer Kinder, sondern um beide. Ihre
geprellte Rippe verbreitete einen dumpfen Schmerz in ihrem Brustkorb. Sie betrachtete ihre Hände, die Kratzer und Schürfwunden, die ihre Haut übersäten, die kleinen Blutstropfen, die in den Rissen ihrer Knöchel getrocknet waren.
    Alexandra holte zum entscheidenden Schlag aus.
    »Liebes, geh nach Hause«, sagte sie ruhig, aber nachdrücklich. Ihre Stimme verriet keine Gefühle. »Geh nach Hause zu deinen Eltern. Zu deinen Freunden. In dein Bett. Geh nach Hause.«
    Eine Träne kullerte aus Prues Auge. »Aber …«, protestierte sie. »Mein Bruder.«
    Alexandras Miene wurde weicher, sie legte sich eine Hand auf die Brust. »Ich schwöre dir beim Grab meines einzigen Sohnes, als Frau und Mutter.« Auch ihre Augen schienen jetzt feucht zu werden. »Ich werde deinen Bruder finden. Und wenn ich ihn habe, werde ich meine Soldaten damit beauftragen, ihn sofort zu deiner Familie zurückzubringen.«
    Prue schniefte. Ihre Nase begann zu laufen.
    »Ehrlich?«, fragte sie zitternd.

    »Pssst! Curtis!« Die Stimme kam von oben. Es war Septimus.
    »Ich hab doch gesagt: Weg von meinem Seil! Das ist mein letztes Wort.« Die Langeweile des Vormittags lag bleiern über allen Käfigen. Die Gefangenen schwiegen, ohne Zweifel dachten sie an die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage.

    »Nein, nein!«, flüsterte Septimus verschwörerisch. »Deine Freundin ist hier!«
    Curtis blickte auf. »Wer?«
    Genervt schielte

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