Wildwood
Besuchsrecht wegnehmen? Sechs Wochen lang kein Fernsehen? Viel schlimmer kann es doch gar nicht mehr werden, Mann!«
Mittlerweile war der Wärter aufgestanden und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. »Ich warne dich …«
»Ach, verschonen Sie mich!«, brüllte Curtis, und dann streckte er den Kopf durch die Gitterstäbe und schrie aus Leibeskräften:
»PRUE! PRUE! GLAUB IHR NICHT! SIE LÜGT DICH AN!«
Das Gesicht des Wärters lief dunkelrot an. Hektisch suchte er nach einem Weg, seinen aufsässigen Gefangenen zum Schweigen zu bringen.
»MAC IST HIER!«, brüllte Curtis weiter, seine Stimme überschlug sich. »DEIN BRUDER IST HIER!«
»WACHEN!«, schrie der Wärter schließlich, und sofort kam ein Trupp Kojoten in den Raum getrampelt, die Gewehre im Anschlag.
»Tja, das war’s dann wohl«, sagte Prue. Sie warf einen kurzen Blick durch die offene Tür in den Nebenraum; dort war ein Tumult ausgebrochen, und eine Gruppe von Soldaten wurde in einen der hinteren Tunnel geschickt. Alexandra folgte ihrem Blick und beobachtete den Trubel neugierig, bevor sie einem ihrer Diener bedeutete, die Tür zu schließen. Es wurde wieder still.
»Ja, ich denke schon«, pflichtete Alexandra ihr bei. »Es war schön, dich kennenzulernen, Prue. Ich habe nicht oft Gelegenheit, mit jemandem aus der Außenwelt zu sprechen.« Sie erhob sich von ihrem Thron und ging mit ausgestreckter Hand auf Prue zu, um ihr aufzuhelfen. Prue zuckte zusammen, als sie ihr Gewicht auf den Knöchel verlagerte, und Alexandra sah sie besorgt an. »Oh je. Der arme Fuß. Maksim!«
Der Angesprochene eilte an ihre Seite. »Ja, Frau Gouverneurin.«
»Mach unserem Gast doch bitte einen Umschlag, ehe sie geht. Gelbwurz und Wunderbaumblätter.« Sie wandte sich wieder an Prue. »Danach ist er so gut wie neu.«
»Danke, Alexandra.« Prue ergriff Maksims Ellbogen.
»Wir sollten einen Trupp auf dem Hügel oberhalb der Eisenbahnbrücke postieren«, ordnete Alexandra an. »Falls es eine Lücke in der Peripherie gibt, durch die man ungehindert nach Wildwald eindringen kann, wird es höchste Zeit, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken. Wir wollen ja nicht, dass noch mehr Außenweltler hier hereinstolpern und sich verletzen. Diesen armen Kindern ist schon genug zugestoßen; Gott behüte, dass sich noch mehr im Wald verlaufen.«
Maksim nickte.
»Und Maksim: Nimm den Seitenausgang. In der Haupthalle scheint irgendein Tumult zu herrschen. Wir sollten das liebe Mädchen nicht noch weiter verunsichern.«
»Sehr wohl.«
Als Prue aus dem Thronsaal gebracht wurde, sah sie, wie Alexandra eine Gruppe von Soldaten zu sich rief, ihnen Anweisungen zuflüsterte und ihnen dann durch die gegenüberliegende Tür nach draußen folgte.
»Was ist denn los?«, fragte sie, während sie mühsam über den unebenen Boden humpelte.
»Nichts Besonderes, vermute ich«, antwortete Maksim. »Wahrscheinlich
ein Streit unter den Soldaten. Hier, gehen wir in die Speisekammer, dann kann ich mich um deinen Knöchel kümmern.«
»Danke.« Die plötzliche Aufgabe ihres Vorhabens hatte einen bitteren Beigeschmack. Aber die Aussicht, nach Hause zurückzukehren, umspielte Prue wie die warme Brise des ersten klaren Frühlingstages.
»Bringt diese Gefangenen zum SCHWEIGEN!«, brüllte der Kommandant, als er zu der wachsenden Anzahl von Soldaten stieß, die in der Höhle standen und zu den Käfigen hochgafften. Die Räuber hatten sich Curtis angeschlossen und schrien immer wieder Prues Namen, während sie mit ihren Blechnäpfen gegen die Gitterstäbe schlugen. Der Lärm war ohrenbetäubend und hallte unaufhörlich von den hohen Wänden wider.
Verzweifelt stammelte der Wärter: »Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist! Keine Ahnung!«
Der Kommandant warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Dann wandte er sich an seine Soldaten und befahl ihnen, die Gewehre anzulegen. »Ohne Befehl schießen«, sagte er fest.
Curtis hatte die Soldaten unter sich nicht aus den Augen gelassen, und als er nun die Anweisung des Kommandanten hörte, warnte er die anderen Gefangenen: »Sie schießen!«
»Bringt eure Käfige zum Schaukeln, Jungs!«, rief Brendan. »Mal sehen, ob sie ein bewegliches Ziel treffen!«
Sofort begannen Curtis und die Räuber, hin und her zu rennen. Die Käfige schwankten wild und stießen gegeneinander. Die Hanfseile ächzten und knarrten.
Die Soldaten schossen wahllos nach oben, dass die Schüsse nur so prasselten, und die Luft füllte sich mit beißendem Pulverdampf.
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