WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)
weißt, dass sie um acht ins Bett soll.«
» Acht? Wie wäre es mit halb neun?« Claudias Gesichtsfarbe stand jetzt der Farbe von Roter Bete in nichts mehr nach. Charles stieß sie unter dem Tisch an, damit sie still blieb, aber er würde sie bestimmt nicht lange im Zaum halten können.
» Nur heute Abend«, fuhr Alys aufgeregt fort. » Ich werde auf sie aufpassen, Mom. Bitte, nur für einen einzigen Abend.«
Ihre Mutter blinzelte. » Na ja … wenn es euch so wichtig ist. Aber vergesst nicht, morgen ist Schule!«
Und so war Claudia mit von der Partie, als ihre Geschwister in Morganas geheimen Lagerraum zurückkehrten. Von zu Hause hatten sie die Notfallkerzen aus dem Küchenschrank mitgenommen, sowie Claudias Nikolauskerze, die nie angezündet worden war, und Alys’ Campingtaschenlampe. Jetzt standen Alys und Charles auf Stühlen und durchsuchten die oberen Regale. Janie und Claudia nahmen sich die unteren vor.
Alys war die Erste, die etwas entdeckte: eine Flasche mit leuchtend goldenen Federn, deren Stöpsel sich mühelos herausdrehen ließ. Triumphierend reichte sie die Flasche zu Janie hinunter. Dann fand Claudia eine Flasche voller roter Kristalle. Daraufhin entdeckte Alys eine weitere Flasche und Charles eine Phiole. Fieberhaft suchten sie weiter.
» O je!«, murmelte Charles mit einem Mal, und Alys sah besorgt auf.
» Leer«, stellte er fest.
Alys hoffte, dass die leere Flasche vielleicht etwas Einfaches wie Quecksilber oder Fliegenbein enthalten hatte – aber sie glaubte selbst nicht daran.
Janie sagte ihnen Bescheid, als sie dreizehn Flaschen gesammelt hatten – denn ebenso viele Zutaten standen auf der Liste –, aber sie überprüften trotzdem noch den Rest. Schließlich könne das zum Beweis ihrer Hypothese beitragen, fand Janie, während Alys hoffte, noch eine weitere Flasche zu finden, zum Ausgleich für die leere.
Aber alle anderen Stöpsel saßen fest. Endlich stieg Alys, die bereits einen Krampf im Nacken hatte, von ihrem Stuhl herunter.
» Nun?«, fragte sie Janie.
» Ich fasse zusammen: Wir haben genau dreizehn Flaschen und Phiolen. Problem: Zwölf sind voll, eine ist leer. Frage: welche?«
Auf Janies Vorschlag hin brachten sie die Gefäße zum Sortieren in die Küche. » Wenn wir herausfinden, was wir haben, sehen wir auch, was wir nicht haben«, befand sie. Also öffnete sie jedes Behältnis, identifizierte den Inhalt und machte zufrieden ein Häkchen auf der Zutatenliste, bis sie alle untersucht hatte.
» Genauso, wie ich es mir gedacht hatte«, sagte Janie erschöpft und lehnte sich zurück. » Ich kann nicht behaupten, dass ich diese Pflanzen sicher voneinander unterscheiden könnte, aber ich weiß, dass wir alle haben. Die Federn und das Quecksilber sind einfach zu erkennen. Die Mineralien auch. Diese kleinen braunen Dinger müssen einfach Fliegenbeine sein und die leuchtenden Dinger Mondfischschuppen. Also bleibt nur eins übrig …«
» Der menschliche Knochen. Natürlich.«
» Jetzt sind wir wieder da, wo wir angefangen haben«, seufzte Charles.
» Nicht ganz«, widersprach Janie. » Wir haben immerhin zwölf von dreizehn Zutaten.«
» Ja, aber wie kriegen wir die dreizehnte?«
» Es gibt Mittel und Wege«, entgegnete Janie vieldeutig, aber nicht allzu laut.
Danach verstummte das Gespräch.
Früh am nächsten Morgen klopfte Charles an die Tür zur Dunkelkammer, dem Hobbyraum seiner Mutter.
» Komm herein.« Dr. Eileen Hodges-Bradley beugte sich gerade über das Spülbecken und ihr blondes Haar leuchtete kupfern in dem roten Licht. » Was gibt’s?«
» Hmmmm«, machte Charles und musterte betont gelangweilt die Decke. Dann fragte er: » Sag mal, Mom, hast du eigentlich viele Knochenbrüche in der Praxis zu behandeln?«
» Nun ja, einige«, antwortete seine Mutter verwundert.
» Also, ich meine«, fuhr Charles fort, » hast du auch Patienten, deren gebrochene Knochen aus der Haut ragen? Sodass vielleicht kleine Splitter davon abbrechen?«
» In solchen Fällen gehen die Leute direkt in die Notaufnahme des Krankenhauses. Aber warum um alles auf der Welt willst du das wissen?«
» Oh, ich hab nur ein bisschen nachgedacht«, antwortete Charles ausweichend und schlenderte wieder hinaus. Er wusste zwar ganz genau, was Alys davon halten würde, äußerte seine Idee aber trotzdem beim Frühstück.
Natürlich hielt Alys nicht viel davon. » Wir werden bestimmt nicht an irgendwelchen Krankenhäusern herumlungern und nach verletzten Menschen Ausschau halten. Du bist ja
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