WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)
glitzernden Mineralienteilchen.
» Jetzt zu Blut und Speichel«, erklärte sie und griff in ihren Rucksack.
» Was ist das ?«, fragte Charles entgeistert.
» Das«, antwortete Alys, » ist ein Schablonenmesser. Wir brauchen Blut, nicht wahr?«, fügte sie hinzu, während alle anderen sie anstarrten.
» Ich hätte da eher an eine Sicherheitsnadel gedacht«, murmelte Charles.
» Wir können nicht die ganze Nacht hier sitzen und Blut aus Nadelstichen quetschen. Komm schon, immerhin hatte ich in der Schule einen Kurs in Erster Hilfe.«
» Wenn du also eine Arterie durchtrennst, weißt du, wie man eine Aderpresse macht?« Aber schließlich erlaubte Charles ihr, seine Fingerspitze mit dem Messer einzuritzen. Einen Moment später quoll Blut heraus.
» Lass es in die Schale tropfen!«, ordnete Alys an und wandte sich Claudia zu, die sich bereitwillig neben Charles vor den Tiegel stellte. Und kurz darauf blutete auch Alys.
Nur Janie hielt sich zurück.
» Es tut nicht weh – nicht sehr«, beteuerte Claudia.
Schweigen.
» Ich will aber nicht«, sagte Janie.
» Nun komm schon her«, verlangte Alys ungeduldig. » Du hast doch keine Angst vor einem kleinen Schnitt, oder?«
Janies Nasenflügel bebten, sie presste die Lippen zusammen und blieb hartnäckig an der Tür stehen.
» Also wirklich«, sagte Charles, » du wärst bereit gewesen, Claudias Finger zu opfern, und machst jetzt so ein Theater wegen ein paar Tropfen Blut? Feigling!«
» Lass sie!«, sagte Alys. » Wenn sie ihr Blut nicht in den Tiegel gibt, kann sie nicht durch den Spiegel gehen, das ist alles. Wir werden sie eben hier zurücklassen müssen.«
Nach einem weiteren Augenblick des Schweigens gab Janie endlich nach. Alys versuchte, einen besonders sanften Schnitt zu setzen, dennoch geriet er bei Janie tiefer als bei den anderen oder ihr Blut war dünner, sodass sie den Finger am Ende mit einem Geschirrtuch verbinden mussten, damit die Blutung aufhörte. Als sie damit fertig waren, setzte Janie erneut ihre eisigste Miene auf.
Danach spuckten sie der Reihe nach in den Tiegel und Alys rührte wieder um.
» Jetzt sollten wir besser nach draußen gehen«, schlug sie vor. » Wir müssen den ersten Strahl des Mondlichts auf den Tiegel scheinen lassen.«
» Offensichtlich ist es keinem von euch aufgefallen«, sagte Janie mit höflicher, ausdrucksloser Stimme, » aber da steht nichts vom ersten Strahl des Mondlichts. Es heißt: die Reflexion des ersten Strahls. Wie bei der Reflexion eines Spiegels.«
» He, sie hat recht«, meinte Charles nach einem prüfenden Blick auf das zerknitterte Stück Papier.
Alys hätte Janie am liebsten geschüttelt. » Hättest du das nicht früher erwähnen können?«, fragte sie wütend. » Statt bis zur letzten Minute zu warten, um damit anzugeben, wie clever du bist?«
Janies purpurfarbene Augen flammten auf. » Es gibt Dutzende von Spiegeln in diesem Haus! Wir können jeden benutzen!«
» Jeden, der klein genug ist, um ihn tragen zu können. Claudia, lauf los und such einen Spiegel, während wir diese Sachen nach draußen schaffen.«
Als sie in den Garten hinterm Haus gingen, spürte Alys das feuchte Gras durch ihre leichten Pantoffeln. Am Ende des Gartens fiel der Grund steil ab und der bewaldete Hügel erstreckte sich bis hinunter zu den Lichtern des Parks. Kaum hatten sie die Stelle erreicht, die Alys ausgewählt hatte, da hörten sie Claudia schwach rufen.
» Ich krieg ihn nicht nach draußen!« Kurz darauf tauchte Claudia selbst auf, keuchend und rot im Gesicht. » Ich habe den kleinen Spiegel von der Küchenwand genommen, aber ich krieg ihn nicht durch die Tür. Er ist zwar nicht schwer. Aber irgendwie – will er einfach nicht rauskommen!«
Charles brauchte nur einen Moment, um sich davon zu überzeugen, dass sie recht hatte. » Es ist so, als wäre da eine Art magisches Band«, erklärte er bei seiner Rückkehr. » Hat einer von euch einen Spiegel bei sich?«
Alys, die in ihren durchweichten Pantoffeln und ihren zu engen Hosen langsam ungeduldig wurde, drückte sich mit der einen Hand den Tiegel an die Brust und schüttelte mit der anderen demonstrativ ihren Rucksack aus. » Würden wir dann etwa ewig hier rumstehen und auf einen Spiegel warten?«, fauchte sie. » Oh nein«, fügte sie hinzu, » seht nur!« Im Osten zeigte sich ein blasses Leuchten am Himmel und ein weißer Strahl erschien über den Vorhügeln.
Sofort gerieten alle in Panik. » Wo kriegen wir jetzt einen Spiegel her?« – » Nirgendwo
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