WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)
warten. Niemand würde jemals davon erfahren oder ihr Vorwürfe machen.
Unbeholfen ließ sie sich über Bord fallen, wobei sie beinahe das Boot zum Kentern brachte, und watete auf dem Schlamm der Sumpffrau hinterher.
» Komm zurück! Es ist nicht nötig, dass du hingehst!«, rief einer der Ruderer aufgeregt. Und der andere fügte rätselhaft hinzu: » Du bist nicht eingeladen worden!«
Aber Alys schüttelte zur Antwort nur den Kopf, während sie durch den Schlamm stapfte und Ariens Fußspuren folgte. Sie wusste selbst nicht, warum, aber zum ersten Mal, seit Aric ihr den Stab an die Kehle gehalten hatte, war ihr klar, was sie zu tun hatte.
Arien Edgewater verlangsamte ihren Schritt, als Alys sie einholte, und nach einem langen, forschenden Blick gab sie Alys den Korb.
» Dann komm mit«, war alles, was sie sagte.
Den ganzen Weg über blieb der Boden unverändert: dunkelgrauer Schlamm, klebrig wie Teer und mit dem Geruch der Verwesung behaftet. Alys war bereit, sich auf jeden Schatten zu stürzen, aber außer ihnen regte sich nichts.
Der Sumpf und das Boot waren schon lange außer Sicht, als sie endlich den Teich erreichten. Er war von flachen grauen Steinen umrandet, überraschend klein und reichte gerade mal vier oder fünf Zentimeter in die Tiefe bis auf den grauen Schlick, der seinen Grund bildete.
» Das Wasser sickert sehr langsam herauf, Jahr für Jahr«, erklärte Arien. » Wir versuchen, sparsam zu sein.«
Alys kniete sich neben sie. Währenddessen wehte ein wunderbar süßer Duft zu ihr herauf, ein sauberer, köstlicher Duft, der die Erinnerung an den Gestank des Schlamms sofort vertrieb. Plötzlich betrachtete sie den Teich mit anderen Augen und sah, dass das Wasser, wenn auch flach, klar wie Kristall war. Und an einen der grauen Steine klammerte sich, die Wurzeln im Wasser, eine kleine Pflanze. Als Alys sanft ihre dunkelgrünen Blätter mit einem Finger berührte, fand sie unter ihnen versteckt eine Blüte, die weiß im Mondlicht schimmerte und mit silbernen Adern durchzogen war. Die Blüte war nicht größer als Alys’ Daumennagel.
Und die ganze Zeit über wehte der Duft des Teichs zu ihr hoch, und als Arien Edgewater sie mit einer Geste dazu aufforderte, das Gesicht in dem Wasser zu baden, gehorchte sie eifrig. Das Wasser war eiskalt, und wo immer es sie berührte, hinterließ es ein sauberes, starkes, erfrischendes Gefühl. Die Wunden an ihren Armen schlossen sich, als einige Tropfen darauf fielen. Nachdem Alys fertig war, nahm Arien sanft die schlaffe, in sich zusammengerollte Schlange aus dem Korb und legte sie ins Wasser, das sie gerade eben bedeckte.
» Ich werde jeden Tag zurückkommen und mich um sie kümmern, bis sie geheilt ist«, sagte sie, und Alys wusste, dass sie ihr Versprechen trotz der Gefahr halten würde, ohne das Wasser selbst jemals zu berühren.
» Warum?«, fragte sie.
Arien Edgewater lächelte. » Warum bist du in die Wildworld gekommen?«
Alys senkte den Blick. » Irgendjemand musste es tun«, antwortete sie langsam, » und …«
» Und?«
» Und … da war niemand sonst.« Alys schloss die Augen und atmete tief den Duft des Teichs ein. Dann öffnete sie die Augen wieder, und es war, als sähe sie Arien zum ersten Mal. » Ich bin sehr dumm gewesen«, sagte sie. » Es war dumm zu glauben, ich könnte aufgeben, weil ich Fehler gemacht habe. Fehler bedeuten nicht, dass man ein Versager ist, nicht wahr? Sie bedeuten nur, dass man es versucht hat. Und es gibt nun mal einige Dinge, denen man nicht einfach den Rücken kehren kann.«
» Man kann schon …«
» Man kann es, aber davon verändern sich die Dinge nicht. Und irgendwann muss man sich ja doch wieder umdrehen.« Alys lehnte sich zurück. » Jetzt weiß ich das alles«, sagte sie. » Aber werde ich es vergessen haben, sobald ich von hier fortgehe?«
Sanft berührte die Sumpfgeistfrau die kleine Pflanze und brach die Blüte ab. Da bemerkte Alys, dass der wunderbare Duft des Teichs ihr Duft war. Arien legte sie Alys in die Hand.
» Behalte sie und erinnere dich«, entgegnete sie. » Sie wird Malthrum genannt und wird nie verblühen. Und jetzt«, fügte sie hinzu, » komm mit mir in mein Heim und ruh dich aus.«
Alys strich mit einem Finger über ein Blütenblatt der winzigen Blume. Dann schloss sie die Hand darum und blickte auf.
» Es tut mir leid«, sagte sie im Aufstehen, » ich kann nicht mitkommen. Aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich an den Rand des Sumpfs zurückbringen könntest. Verstehst du,
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