WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)
bleiben durfte und dass überall Gefahren lauerten. Die Schlange fest an sich gepresst, den Dolch weit von sich gestreckt, taumelte sie dahin. Ihre Beine wurden immer schwerer, aber sie zwang sich dazu, sie weiterzubewegen. Ein schlammiger roter Nebel waberte in ihrem Kopf. Plötzlich schien der Dolch sich vor ihren Augen zu verdoppeln und eine gewaltige Welle des Schwindels überwältigte sie. Und dann wurde der rote Nebel schwarz.
Kapitel 14 – SUMPF UND WALD
Alys träumte von Augen. Augen, so grünbraun wie der Sumpf und so groß, dass sie das kleine braune Gesicht, in dem sie lagen, noch kleiner erschienen ließen. Sie blickten mit einem Ausdruck auf sie herab, der scharf und mitfühlend zugleich war, und sie wollten, dass sie schlief … dass sie schlief …
Ein sanftes Wiegen weckte sie.
» Was … wo …?« Sie richtete sich auf, ungeachtet des Schmerzes in ihrem Kopf. Ihre Stimme war ein flüsterndes Krächzen – und sie schaute geradewegs in die Augen aus ihrem Traum.
» Scht«, machte das Geschöpf, dem die Augen gehörten, und drückte sie sachte zurück. Aber Alys hatte bereits genug gesehen. Sie war in einem Boot, einem kleinen, flachen Boot, das von zwei weiteren dieser braunen Geschöpfe gelenkt wurde, während der Sumpf unter ihr hinwegglitt.
» Ich bin Arien Edgewater von den Eldreth – dem Sumpfvolk«, sagte das flinke, kleine Geschöpf, und Alys blinzelte vor Staunen. Der geschmeidige Körper des Elementargeistes war viel länger als seine schlanken Arme und Beine. Seine kleinen, geschickt aussehenden Hände waren auf dem Handrücken mit Fell bedeckt, während die weichen Innenflächen glatt waren. Das gleiche samtige Fell bedeckte auch den Körper und umrahmte das Gesicht wie eine Kapuze. Das einzige Kleidungsstück der Sumpffrau war eine Art offener, ärmelloser Mantel, gefertigt aus einem hauchzarten Material. Die beiden anderen Sumpfgeister trugen nichts am Leib.
» Wo …«, begann Alys von Neuem. Ihre Kehle war wund.
Eine sanfte Hand strich ihr über die Stirn. » Wir reisen an den Rand des Sumpfes, an einen Ort der Heilung. Es ist nicht mehr sehr weit. Ruh dich aus.«
Alys schüttelte den Kopf. » Nein. Bitte. Wo – ist die Schlange?«
» Ah, ja.« Die grünbraunen Augen wurden ernst und für einen Moment schoben sich von der Seite Lider darüber. Dann wurde ein Korb sanft neben Alys gestellt, ein kleiner Korb aus geflochtenem Schilf. Auf dessen Boden lag auf einem Bett aus Blättern die Schlange, zusammengerollt und reglos. Ihre Augen waren keine leuchtenden schwarzen Glasperlen mehr, sondern milchig, trüb und starr.
» Ist sie – tot?«
» Nein. Und sie wird auch nicht sterben, wenn wir den heilenden Teich rechtzeitig erreichen. Gefiederte Wächter sind stark. Als mein Volk dich bewusstlos im Sumpf fand, habe ich um euch beide gebangt. Aber mit ein wenig Glück wird alles gut.«
Alys lag für einen Moment still da und schaute zum Mond empor. Dann spürte sie, wie das Boot sich unter ihr wiegte und wie ihr ganzer Körper schmerzte, und sie stützte sich auf einen Ellbogen und richtete sich wieder auf. Der Nebel war immer noch da, er hing tief und zerklüftet über dem sumpfigen Wasser. Aber der Sumpf selbst hatte sich verändert, seit sie das erste Mal hineingestolpert war.
Seltsame und fantastische Bäume nahmen im Nebel Gestalt an und wurden wieder umhüllt, sobald das Boot vorbeiglitt, und eine außergewöhnliche Vegetation kräuselte sich auf der Oberfläche des Wassers. Doch trotz der üppigen Natur war diese Welt absolut still.
» Das ist der Einfluss vom Reich des Chaos«, erklärte Arien Edgewater, als Alys sie fragend ansah. » Die wilde, ungebändigte Magie ist aus ihr herausgesickert und hat diesen Ort verändert. So wie sie alles verändert.« Während Alys sich an den Rand des Bootes lehnte und lauschte, viel zu müde und verwirrt zum Denken oder Sprechen, erzählte ihr die Sumpfbewohnerin vom Reich des Chaos. Wie es plötzlich erblühte, wenn der tiefe Kern der Magie seinen Weg an die Oberfläche der Wildworld fand, durch Störstellen explodierte und einen Quell des Chaos bildete. Wie das Chaos sich von dem Quell aus in alle Richtungen ausbreitete und ein ganzes Reich bildete, und wie es sich immer wieder zurückzog, nur um erneut heranzufluten. Sie erzählte Alys von der Zerstörung, die ein solches Reich hinterließ, wenn es sich tatsächlich ganz zurückzog. Manchmal ließ das Chaos etwas ebenso Seltsames wie Schönes zurück, wie den ewigen Gletscher,
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