Wilhelm II
Generalstabschef zu einem offenen Streit gekommen. 22
Als die Kampagne gegen den General in Fahrt kam, wurde Wilhelm zunehmend bewusst, dass sein eigenes Ansehen, ebenso wie das Falkenhayns, auf dem Spiel stand. Wie stark Wilhelms Unabhängigkeit in Gefahr war, wurde deutlich, als die dominierende Figur in der Kampagne gegen Falkenhayn, Feldmarschall Paul von Hindenburg mit Rücktritt drohte, falls Falkenhayn nicht entlassen wurde. Hindenburg und sein enger Vertrauter Erich
Ludendorff, nominell sein Untergebener, aber der geschicktere Stratege und Organisator der beiden, waren die dominierenden Befehlshaber und Strategen der Ostfront. Ihnen wurde gemeinhin das Verdienst für den spektakulären Sieg über die russischen Armeen im August 1914 bei Tannenberg in Ostpreußen zugesprochen. Hindenburgs Ultimatum setzte einen neuerlichen Präzedenzfall in der Geschichte des preußischen Militärs: Nie zuvor hatte ein Offizier versucht, sein Verbleiben im Dienst an die Umsetzung einer bestimmten politischen Linie zu knüpfen. Wilhelm schäumte vor Wut über dieses impertinente Verhalten und spielte sogar mit dem Gedanken, Hindenburg vor ein Kriegsgericht zu stellen. Er lehnte den Rücktritt ab und verzichtete auf disziplinarische Maßnahmen gegen den aufmüpfigen General-feldmarschall, vermutlich weil er sich einen so angesehenen und populären Feldherrn nicht zum Feind machen wollte. 23
Eine derartige Pattsituation konnte nur durch einen kaiserlichen Schiedsspruch aufgehoben werden. Die Lage wurde für Wilhelm noch dadurch erschwert, dass die Männer von »Ober Ost« (Oberkommando Ost) und ihre Verbündeten in der Kommandostruktur von keinem geringeren als Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg unterstützt wurden. Genaugenommen hatte Bethmann Hollweg die Anfangsphase der Kampagne gegen Falkenhayn persönlich koordiniert. Bethmann lehnte die Ansicht Falkenhayns ab, dass der Schlüssel zum Erfolg in einer Kombination aus einem massiven Angriff an der Westfront und diplomatischen Offerten an Russland liege (für die wiederum der Kanzler die Verantwortung tragen würde). Er unterstützte hingegen die Anschauung Hindenburgs und Ludendorffs, dass Deutschland nur dann einen günstigen Ausgang erzielen könne, wenn der strategische Schwerpunkt des Kampfes von West nach Ost verlagert werde. Dem Anti-Falkenhayn-Lager gelang es sogar, Angehörige der Königsfamilie zu gewinnen, darunter den jüngsten Sohn des Kaisers Joachim, der damals in Hindenburgs Hauptquartier Dienst tat, und die Kaiserin selbst. Auf Hindenburgs Bitte hin willigte sie sogar ein, ihrem Mann in einem
Brief die Entlassung Falkenhayns nahe zu legen. 24 In einem Telegramm an Auguste Viktoria brachte Wilhelm seine Empörung darüber zum Ausdruck, »dass die Intriganten nicht vor meinem Hause halt gemacht, sondern unter Nichtachtung seines Friedens sich erfrecht haben, auch noch dich gegen mich ins Feld zu schicken«. 25 In der Auseinandersetzung vom Juli/August 1915 nahm Wilhelm eine vermittelnde Haltung ein. Falkenhayn wurde befohlen, frische Truppen von der Westfront dem Oberkommando Ost zu unterstellen, aber er blieb trotz der Proteste Hindenburgs und Ludendorffs im Amt; und Hindenburg wurde befohlen, innerhalb der Grenzen des strategischen Konzepts von Falkenhayn zu operieren. Hindenburgs Autorität wurde durch die Schaffung einer neuen zivilen Verwaltung auf dem Gebiet des russischen Teils von Polen eingeschränkt, der zuvor unter der Kontrolle von Ober Ost gestanden hatte. Doch das war nur eine zeitweilige Ruhepause für den streitbaren Generalstabschef. Die gigantische Offensive, die im Februar des folgenden Jahres gegen die Befestigungsanlage Verdun gestartet wurde, zog sich unter enormen deutschen Verlusten bis in den Sommer hin, ohne dass ein Durchbruch erzielt wurde. Am 30. Juli 1916 drängten Hindenburg und Ludendorff Wilhelm mit Erfolg, einer Konzentration der Leitung an der Ostfront zuzustimmen, welche die Befugnisse der Obersten Heeresleitung unter Falkenhayn erheblich beschnitt. 26 Der Todesstoß für Falkenhayn kam mit dem unerwarteten Kriegseintritt Rumäniens an der Seite der Alliierten am 28. August 1916. Das Auftauchen eines neuen und anscheinend mächtigen Gegners im Osten verlagerte den Dreh- und Angelpunkt der Kriegsbemühungen an die Ostfront und ließ ernste Zweifel an der Korrektheit der nach Westen orientierten Strategie Falkenhayns aufkommen. Am 30. August 1916 fügte Wilhelm sich in das Unvermeidliche und ernannte Hindenburg zum
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