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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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Front, leicht den Verdacht erregen, dass er ein kostspieliges und sinnloses Drohnendasein führe, weit ab von den eigentlichen Zentren der politischen oder militärischen Entscheidungsfindung. Während Hindenburg sein Image als Vater und Feldherr der Nation eifrig pflegte, regelmäßig Journalisten empfing, sich in schmeichelhaften Posen fotografieren und malen ließ und vor unzähligen Versammlungen seiner Anhänger sprach, versäumten Wilhelm und sein Stab es völlig, für eine konsequente Medienpräsenz zu sorgen. Für Journalisten war es in der Regel kein Problem, zu Hindenburg vorgelassen zu werden, häufig zählten sie sogar zu den Abendgästen des Generalfeldmarschalls. Im Gegensatz dazu schloss Wilhelms Gefolge energisch die Presse aus dem Umfeld des Kaisers aus, nicht zuletzt deshalb, weil sie hofften, auf diese Weise potenziell schädliche Unbedachtheiten zu verhindern. 65
    Auf merkwürdige Weise half Wilhelm sogar, den Hindenburg-Kult zu schüren. Er beteiligte sich offen daran, das ging so weit, dass er sein eigenes Ansehen und das Bethmann Hollwegs untergrub. Im Februar 1917 hörte der Kanzler bestürzt, dass der Kaiser einen Aufsatz des rassistischen Kulturtheoretikers Houston Stewart Chamberlain dem Generalstab zur Verteilung unter den Soldaten übergeben hatte. Chamberlain konzentrierte sich in dem Aufsatz auf den Anteil der Willenskraft an einem Sieg und schloss mit der Klage, dass in der Gestalt Hindenburgs zwar ein großer Mann dem Volke geschenkt worden sei, dass die deutsche Führung allgemein jedoch von mittelmäßigen Figuren dominiert werde und dem Land ein geeigneter Führer fehle. 66 Da Wilhelm stets dazu neigte, in die öffentliche Meinung einzustimmen, sah er sich letztlich als eine Art Einpeitscher für Hindenburg. »Mit diesem ›Ja‹ gehe ich zum Feldmarschall«, sagte Wilhelm im September 1918 zu Fabrikarbeitern in Essen, nachdem sein Aufruf, den Kampf fortzusetzen, von begeistertem Jubel begrüßt worden war. 67 Aber in dem Maße wie Hindenburgs Popularität wuchs, nahm die Wilhelms ab. In den letzten 18 Kriegsmonaten stieg die Auflage antimonarchischer Pamphlete an und es war ein drastischer Verfall des Vertrauens in die Dynastie zu beobachten. In Bayern, wo die kaiserfeindliche Stimmung von einer langjährigen partikularistischen Tradition geschürt wurde, war dies besonders ausgeprägt. Kronprinz Rupprecht berichtete hier im Sommer 1917: »Die Verstimmung geht so weit, daß ernsthaft denkende Leute bezweifeln, ob die Dynastie der Hohenzollern den Krieg überdauern wird«. 68
    Der Mann, der einst so peinlich auf seine Popularität und sein Bild in der Öffentlichkeit geachtet hatte, schien nunmehr völlig gleichgültig gegenüber der Notwendigkeit, sich seinem Volk zu zeigen. Angehörige seines Gefolges – Lyncker, Müller und Valentini – drängten den Kaiser wiederholt, zu Treffen mit den Führern im Reichstag nach Berlin zu reisen. Admiral Müller sprach sich sogar dafür aus, dauerhaft in die Hauptstadt umzuziehen. Aber Wilhelm weigerte sich hartnäckig: »Aus dem Kommen nach Berlin wird nichts«, schrieb Moritz von Lyncker an seine Frau. »Er will mal wieder nicht; fürchtet sich vor unangenehmen Aussprachen. Sehr schade nach jeder Richtung. Es wäre sehr gut, wenn die Zeitungen mal wieder darüber berichteten, dass er in Berlin mit dem Kanzler konferierte und den oder den gesprochen hat.« 69 Lyncker hatte Hunderte von Stunden in der Gesellschaft des Kaisers verbracht und kannte ihn wohl besser als die meisten. Er hatte zweifellos Recht, wenn er das Sträuben des Souverän auf Angst zurückführte. Die prahlerischen Worte des Kaisers und die Flucht in die Fantasie hatten stets eine unterschwellige Abneigung gegen offene Konfrontationen oder echte Konflikte kaschiert. Im Jahr 1918 hatten sie sich, nach Jahren einer relativen Isolation in der irrealen Welt des kaiserlichen Hauptquartiers, zu den dominierenden Kräften in seiner Persönlichkeit entwickelt.
     
    Weder Hindenburgs Ansehen noch die Überreste der royalistischen Gefühle innerhalb der deutschen Bevölkerung reichten aus, um den Thron zu retten, als deutlich wurde, dass Deutschland den Krieg gegen die Alliierten verloren hatte. Wilhelm war von seinem Gefolge von den schlimmsten Meldungen über den Zusammenbruch der deutschen Offensive von 1918 abgeschirmt worden. Desto schockierter war er, als er am 29. September von Ludendorff persönlich erfuhr, dass die Niederlage unausweichlich sei und unmittelbar bevor stehe.

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