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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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hätte. Wilhelm schreckte vor einer so gewagten Strategie zurück – wer wollte ihm dies verdenken? Bereits am 19. Mai 1889 vertraute er seinem Freund Philipp Eulenburg, dem preußischen Gesandten in Braunschweig, an, dass er »furchtbare Schwierigkeiten« mit Bismarck wegen der Angelegenheit einer »Verfassungsänderung« habe. Bei einem späteren Treffen mit Eulenburg am 13. Januar 1890 berichtete er, dass Bismarcks Unnachgiebigkeit in der Frage des Sozialistengesetzes einen politischen Konflikt von solchen Ausmaßen herbeizuführen drohe, dass einzig und allein ein Staatsstreich helfen könne:
     
    Er, der Kaiser, sei in einer ganz entsetzlichen Lage, denn seine Regierung mit einer Art von Revolution, Schießen und sonstigen Gewaltmaßregeln zu beginnen hielte er für bedenklich. […] Ich habe […] den Wunsch, dem Volke, und besonders den Arbeitern meinen guten Willen zu zeigen und ihnen zu helfen, nicht aber die Absicht, auf sie zu schießen! 31
     
    Der Streit zwischen Kaiser und Kanzler war zugleich eine Auseinandersetzung um Regierungsmethoden sowie um die Machtverteilung innerhalb der Reichsexekutive. Bismarck war nicht nur über Wilhelms politische Maßnahmen entsetzt, sondern auch über die Art und Weise, wie der neue Kaiser angefangen hatte, sich in die Regierungsgeschäfte einzumischen. Am 6. und 7. Mai 1889, als dem Kaiser die ersten Meldungen von den Unruhen im Ruhrgebiet zu Ohren kamen, forderte er nachdrücklich Berichte von den Beamten vor Ort an, die direkt an ihn geschickt werden sollten. Seine Anweisungen an den Oberpräsidenten von Westfalen vom 11. Mai wurden ohne Bismarcks Wissen abgeschickt. Für derartige Initiativen hatte es in der praktischen Reichspolitik unter Wilhelm I. keinen Präzedenzfall gegeben, und Bismarck beantwortete sie recht brüsk. Er schickte eine eisige Nachricht an Oberpräsident Robert Eduard von Hagemeister von Westfalen und warnte ihn, dass die Regierung nicht die Verantwortung für Maßnahmen übernehmen könne, die von Verwaltungsbeamten ohne die Einwilligung der ihnen vorgesetzten Minister getroffen worden seien. Im Juni 1889 traf Bismarck über den Innenminister Ernst Herrfurth (einen von Wilhelm berufenen Minister) Vorkehrungen, um eine weitere unabhängige Initiative des Monarchen zu verhindern. Er riet Herrfurth, keine Berichte direkt an den Kaiser zu schicken, damit Seine Majestät sich nicht genötigt fühle, Entscheidungen ohne die zuständigen Berater und ohne fachkundigen Ratschlag zu treffen. 32
    Die Einmischung des Kaisers in den administrativen Ablauf während der Arbeiterunruhen kam einer direkten Herausforderung der Autorität Bismarcks als preußischer Ministerpräsident gleich. Innerhalb Preußens, dessen Verwaltung sich mit den Streiks und zugehörigen Unruhen konfrontiert sah, wurde das Recht des Ministerpräsidenten, die Politik zu koordinieren, durch eine Kabinettsorder definiert, die König Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1852 erlassen hatte und seither nicht aufgehoben worden war. Der Erlass sollte Ordnung und Einheitlichkeit in die Regierungsgeschäfte bringen; in diesem Sinne wurde bestimmt: »Über alle Verhaltensmaßregeln von Wichtigkeit […] hat sich der betreffende Departementschef vorher, mündlich oder schriftlich, mit dem Ministerpräsidenten zu verständigen.« Sämtliche Berichte, die von Verwaltungsdirektoren an den Monarchen geschickt wurden, mussten zuerst dem Ministerpräsidenten zur Kommentierung vorgelegt werden, dem auch das Recht vorbehalten war, bei allen Treffen zwischen entsprechenden Beamten und dem Monarchen anwesend zu sein. 33 Ob die Kommunikation des Kaisers mit untergeordneten Beamten im Jahr 1889 tatsächlich ein Verfassungsbruch war, wie Bismarck später behaupten sollte, ist äußerst zweifelhaft; allerdings stellten sie mit Sicherheit einen Bruch mit der bisherigen, preußischen Praxis dar.
    Abgesehen davon wurde Bismarcks Zugriff auf die Macht auch von dem Kreis inoffizieller Berater in Frage gestellt, der sich nunmehr um die Person des Kaisers herausbildete. Unter ihnen waren der ehemalige Hauslehrer Georg Hinzpeter, der Industrielle Graf Hugo Douglas, der Hofmaler und ehemalige Bergbaubeamte August von Heyden, der enge Freund des Kaisers Philipp Fürst von Eulenburg und Hertefeld und der Ehrfurcht gebietende Friedrich von Holstein, ein Ressortleiter im Auswärtigen Amt, der privilegierten Zugang zu den internen Überlegungen der Bismarck-Fraktion hatte. Sie hielten den Monarchen über Entwicklungen auf dem

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