Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
Entscheidung, sich auf ein Wettrüsten zur See mit Großbritannien einzulassen. 25 Wilhelm war seit seiner Kindheit ein passionierter Hobbynautiker gewesen, eine Leidenschaft, die von seiner britischen und antimilitaristischen Mutter gefördert wurde. Als junger Erwachsener verschlang er begeistert Seefahrergeschichten und technische Zeitschriften und erwarb ein Wissen auf dem Feld des modernen Schiffbaus, das viele Zeitgenossen beeindruckte. Auf den nautischen Skizzen, die der junge Mann anfertigte, sind futuristisch anmutende, schwimmende Festungen zu sehen, die vor liebevoll gezeichneten Kanonen starrten. Noch vor der Thronbesteigung hatte Wilhelm mit dem Bauplan für die Luxusjacht Hohenzollern begonnen, der ersten königlichen Jacht, die von einem Angehörigen seiner Dynastie in Auftrag gegeben wurde. Während seiner gesamten Herrschaft – bis zum Kriegsausbruch 1914 – verbrachte er den Sommerurlaub an Bord dieses Schiffes und kreuzte in der Gesellschaft von Freunden und Kumpanen auf der Ostsee.
Nur sechs Monate nach der Thronbesteigung ordnete Wilhelm wesentliche Reformen der Verwaltungsstruktur der Marine an, vereinheitlichte dadurch die Befehlskette und untermauerte die persönliche Autorität des Kaisers in Fragen der Strategie und des Personals. Er machte kein Hehl aus seiner Vorliebe für die Marine. Er brach mit der Tradition der Hohenzollern, einen Offizier der preußischen Armee zu seinem persönlichen Adjutanten zu ernennen, und berief als erster deutscher Kaiser einen Offizier der Marine. Häufig hatte es den Anschein, als würde er bei öffentlichen Anlässen hohen Marineoffizieren den Vorzug vor den Generälen des Heeres geben. 26 Dennoch deutete in den ersten Jahren seiner Herrschaft kaum etwas darauf hin, dass Wilhelms Interesse für die Marine mit einem klaren strategischen oder politischen Programm verknüpft war. Der Schiffbau geriet ins Stocken, mit der Folge, dass die deutsche Flotte bis 1895, laut eines Berichts der Admiralität, sowohl in absoluten Zahlen als auch in Relation zu anderen Flotten abnahm. 27 Gelegentlich flackerte eine Begeisterung für eine ehrgeizigere Flottenstrategie auf (vor allem im Jahr 1894 während des chinesisch-japanischen Krieges), aber größtenteils wurden Wilhelms Anschauungen zur Verteidigung von der Aussicht auf einen Territorialkrieg dominiert, in dem die Flotte allenfalls eine zweitrangige Rolle spielen würde.
Ab Mitte der neunziger Jahre nahmen Schiffbau und Seestrategie jedoch einen zentralen Platz in Wilhelms sicherheitsund außenpolitischem Denken ein. An dieser grundlegenden (und historisch gesehen neuartigen) Umorientierung lässt sich ablesen, wie feinfühlig der Kaiser auf die neuesten Trends in der öffentlichen Meinung reagierte. Es trifft zwar gewiss zu, wie Paul Kennedy gezeigt hat, 28 dass die ehrgeizigen Flottenprojekte (und die erheblichen Mittel, die sie verschlingen sollten) im Parlament weiterhin schwache Unterstützung fanden, doch in der bildungs- und wirtschaftsbürgerlichen Mittelschicht herrschte eine wachsende und verstärkt propagierte Begeisterung für eine Flottenpolitik, die Deutschlands Anspruch auf gleichberechtigte Beteiligung bei territorialen Regelungen an der Peripherie des Reiches untermauern und dem Reich einen unangefochtenen Platz unter den Großmächten sichern sollte. Wilhelm verfolgte und kommentierte hier und da Marineartikel in den Zeitungen und las, wie viele seiner gebildeten Untertanen, die Werke Alfred Thayer Mahans. Der damals einflussreiche, amerikanische Seekriegstratege sagte einen Kampf um die Weltmacht voraus, der mit riesigen Flotten aus schweren Schlachtschiffen und Schlachtkreuzern entschieden würde. Mit seiner Forcierung des Flottenausbaus glaubte Wilhelm, im Einklang mit der vernünftigen, »nationalen« Meinung zu handeln. Die Flotte eignete sich besonders gut für die Realisierung der Vision Wilhelms von einem erfolgreichen Monarchen: Im Vergleich zum Heer, das als borniert preußisch, aristokratisch und engstirnig in seinen Anschauungen galt, war die Flotte die Waffe des Reiches und der deutschen Nation, insbesondere der industriellen, wirtschaftsbürgerlichen und akademischen Mittelschicht. Ein Monarch, der eng mit dem Ausbau der Flotte assoziiert wurde, konnte sich Hoffnungen machen, selbst die nationale »Mitte« in der deutschen Politik und öffentlichen Meinung zu besetzen, die sich Anfang und Mitte der neunziger Jahre als so unzuverlässig entpuppt hatte.
So wichtig diese
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