Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
innenpolitischen Überlegungen auch waren, hatte das Thema darüber hinaus eine internationale Dimension. Das machtpolitische Potenzial einer starken Flotte wurde Wilhelm durch eine Reihe von Konflikten in den Kolonien schmerzlich bewusst. Zum Beispiel kam es zu einem Streit mit London um den Englisch-Kongolesischen Vertrag vom Mai 1894, der, wie Berlin zu Recht beklagte, den deutschen Interessen in Ostafrika schadete und den Bruch eines früheren deutsch-englischen Abkommens beinhaltete. Im Jahr darauf drängte sich die deutsche Regierung in die Reihen der Großmächte, indem sie nach dem Sieg Japans im chinesisch-japanischen Krieg bei den Gebietsverhandlungen als Schlichter auftrat. Diese Intervention war von einer (in diesem Fall unbegründeten) Angst motiviert, die Briten seien im Begriff, Shanghai einzunehmen. 29
Der bei weitem schwerste Konflikt an der Peripherie war die Transvaal-Krise von 1895 bis 1897. Zwischen der Kapkolonie unter britischer Herrschaft und der benachbarten Südafrikanischen Republik, auch Transvaal genannt, war es jahrelang immer wieder zu lokalen Auseinandersetzungen gekommen. Die Briten hatten schließlich die Burenrepublik förmlich als unabhängige, souveräne Einheit anerkannt, aber Cecil Rhodes, die dominierende Persönlichkeit in der Kapkolonie, forderte nachdrücklich die Annektierung des nördlichen Nachbarn, weil er der Versuchung der dortigen Goldvorkommen nicht widerstehen konnte. Da deutsche Siedler eine wichtige Rolle in der Wirtschaft Transvaals spielten und ein Fünftel des gesamten ausländischen Kapitals, das hier investiert worden war, in deutschen Händen lag, hatte die Regierung in Berlin ein legitimes Interesse daran, die Unabhängigkeit der Republik zu erhalten. Im Jahr 1894 kam es wegen des Baus einer mit deutschen Geldern finanzierten Bahnlinie, die den Binnenstaat Transvaal mit der Delagoa Bay im portugiesischen Mozambique verband, zu Spannungen zwischen Berlin und London. Während die Briten in Erwägung zogen, durch eine Annektierung der Delagoa Bay die Eisenbahn unter ihre Kontrolle zu bringen, und jede Einigung ablehnten, die ihre politische und wirtschaftliche Vormachtstellung in der Region geschwächt hätte, bestanden die Deutschen darauf, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Transvaal beizubehalten. 30 Im Herbst 1895 spitzte sich die Lage zu, als der britische Botschafter in Berlin, Sir Edward Malet, den Transvaal einen Unruheherd in den deutsch-englischen Beziehungen nannte und dunkel von der Möglichkeit eines Krieges zwischen den beiden Ländern orakelte, falls Deutschland sich weigere nachzugeben. Obwohl Premierminister Salisbury sich eilig von den Äußerungen des Botschafters distanzierte, hatten sie auf Wilhelm eine elektrisierende Wirkung. Er fiel über seinen Freund Oberst Leopold Swaine, den britischen Militärattaché in Berlin, her und schimpfte über die Impertinenz Malets, ihm, dem Enkel Königin Victorias, wegen »ein paar Quadratmeilen voll Neger und Palmbäume« zu drohen. 31
Wilhelm und die Regierung waren somit ohnehin bereits aufgebracht, als ein gescheiterter britischer Angriff auf den Transvaal im Dezember 1895 eine internationale Krise auslöste. Der Überfall von Leander Starr Jameson auf die Republik war zuvor nicht offiziell von der britischen Regierung gebilligt worden, jedoch liegt es aus heutiger Sicht auf der Hand, dass zumindest ein britischer Minister (Joseph Chamberlain) im Voraus davon gewusst hatte. Salisbury beeilte sich auch, die erforderlichen offiziellen Verurteilungen und Dementis abzugeben, doch die Regierung in Berlin war ihrerseits weiterhin überzeugt, dass London hinter dem Überfall steckte. Sie war fest entschlossen, ihrer Empörung Luft zu machen. Am 3. Januar 1896, einen Tag nachdem die Nachricht von Jamesons Niederlage und Gefangennahme Berlin erreicht hatte, traf Wilhelm sich mit Marschall, Hohenlohe und mehreren Vertretern der Kriegsmarine, um darüber zu sprechen, welche Optionen die deutsche Regierung hatte. Nachdem sie mehrere Varianten erörtert und verworfen hatten, kamen sie auf die Idee, Paul Kruger, dem Präsidenten der Transvaal-Republik, ein persönliches Telegramm des Kaisers zu schicken. Die sogenannte »Krüger-Depesche« wünschte dem Präsidenten ein frohes, neues Jahr und gratulierte ihm dafür, dass es ihm gelungen war, »ohne an die Hülfe [sic!] befreundeter Mächte zu appellieren […] die Unabhängigkeit des Landes gegen Angriffe von außen zu wahren«.
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