Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
Netz der diplomatischen Vertretung unter seiner Kontrolle zu nutzen. 18 Im Jahr 1891 konnten Holstein und Eulenburg verhindern, dass Wilhelm nach Danzig reiste, um den Zaren zu empfangen; ein Jahr später überredete das Auswärtige Amt ihn, mit Eulenburgs Hilfe, seinen verletzten Stolz zu überwinden und die Einladung des Zaren zu einem Treffen in Kiel zu akzeptieren. Außerdem wurden Maßnahmen getroffen, um die Wirkungen der bereits in die Wege geleiteten Initiativen des Monarchen zu neutralisieren: Während Wilhelm etwa 1890/91 den Franzosen den Hof machte, schreckte Holstein sie wiederum mit Warnungen ab, dass eine Aufhebung der lästigen deutschen Passkontrollen in Elsass-Lothringen nicht in Sicht sei. 19 Als Wilhelm im Jahr 1895 den Österreichern eine deutsche Unterstützung ihrer Politik bezüglich der Meeresstraßen zusagte, die weit über die Linie des Auswärtigen Amtes zu deutschen Bündnisverpflichtungen hinausging, schaltete sich Marschall schleunigst ein, damit die Österreicher keinen falschen Eindruck von der deutschen Haltung bekamen. 20
Auf diese Weise wurde der Kaiser während der ganzen neunziger Jahre »gelenkt«. Im Frühjahr 1897 musste er von Hohenlohe eindringlich davon abgebracht werden, die Buren im Transvaal mit einer allmählichen Stationierung deutscher Truppen zu verstärken. In manchen Fällen wurde es für notwendig erachtet, ihm bestimmte Informationen zu verheimlichen. Beispielsweise wurde Wilhelm nie über die Einzelheiten einer Begegnung im März 1897 zwischen dem Abteilungsleiter des britischen Foreign Office, Sir Francis Bertie, und dem deutschen Diplomaten Baron Hermann von Eckardstein informiert. Im Verlauf der Diskussion deutscher Interessen in Südafrika warnte Bertie seinen Gesprächspartner – einen bekannten Anglophilen -, dass die englische Regierung vor keiner Maßnahme, auch nicht vor der letzten, zurückschrecken werde, um eine deutsche Intervention abzuwehren. Er fügte hinzu: »Falls es zum Kriege mit Deutschland kommen sollte, [habe die Regierung] die gesamte englische Nation hinter sich, und eine Blockade von Hamburg und Bremen sowie die Vernichtung des deutschen Handels auf hoher See sei für die englische Flotte eine Kleinigkeit.« 21 Diese ungewöhnlich strenge Nachricht wurde nie an Wilhelm weitergeleitet, vermutlich weil man befürchtete, dass sie einen peinlichen Wutausbruch auslösen könnte.
Unter den vielen Ministern und Regierungsvertretern, die sich der Aufgabe widmeten, die Einmischungen des Kaisers in die Außenpolitik zu lenken, war Bernhard von Bülow der Findigste. In einer maßgeblichen Studie der Außenpolitik Bülows hat Peter Winzen aufgezeigt, wie geschickt er den Souverän manipulierte. Bülow sorgte dafür, dass er der einzige Kanal wichtiger Informationen zu den diplomatischen Beziehungen war, wog seine Schilderung der Optionen so ab, dass die »Entscheidung« des Kaisers so gut wie sicher war, und wahrte während der ganzen Zeit die Illusion, dass sämtliche Initiativen gemäß der von Wilhelm vorgegebenen Richtlinien erfolgten. 22 Mit Hilfe solcher, im Wesentlichen höfischer Techniken gelang es Bülow, mit Holsteins Unterstützung, den Entscheidungsprozess bis zu einem gewissen Grad vor den destabilisierenden Wirkungen monarchischer Initiativen abzuschirmen. 23 Im Kontext der britischen »Bündnisangebote« von 1898-1901 hatte diese Form der Lenkung den Effekt, dass Wilhelm nicht vorschnell eine Verpflichtung einging, die letztlich eher den britischen als den deutschen Interessen gedient hätte. Bülows Politik der »freien Hand« blieb das Leitprinzip der deutschen Diplomatie. So wollte die Reichsführung aus den Spannungen unter den anderen Großmächten Kapital schlagen, um ihre eigene Unabhängigkeit und den Handlungsspielraum zu vergrößern. Immer wieder wurden wichtige Richtungsentscheidungen ohne Wilhelms unmittelbare Beteiligung getroffen – man könnte hier etwa auf den »Angola-Vertrag« von 1898 verweisen, der die deutsch-britischen Spannungen entschärfte und Deutschland aus der unruhigen Republik Transvaal herauswand, oder auf die Ablehnung des russischen Angebots vom April 1900, gemeinsam im Burenkrieg zu schlichten, oder auf die Übereinkunft mit Großbritannien im Jahr 1901 mit Blick auf das Tal des Jangtsekiang. 24
Wilhelm II. und der Flottengedanke
Auf einem Feld übte Wilhelm jedoch allem Anschein nach in der Tat maßgeblichen Einfluss aus: die Modernisierung und der Ausbau der Kriegsmarine sowie die
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