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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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war ein Determinist von der pessimistischsten und dogmatischsten Sorte: Für ihn lautete die Frage nicht, ob es überhaupt zu einer Konfrontation kommen würde, sondern lediglich wann, und wie rasch die deutsche Kriegsmarine darauf vorbereitet werden konnte.
    Im Gegensatz dazu bewahrte sich Wilhelm, wie stets, die Hoffnung, dass der Ausgang der zeitgenössischen Entwicklungen noch offen war. Er glaubte und hoffte, dass sich England, in respektvoller Anerkennung der wachsenden Seemacht Deutschlands, am Ende dazu entschließen würde, dem Dreibund beizutreten. »Ich weiß mit Sicherheit«, schrieb seine Mutter im Sommer 1898 an Königin Victoria, »dass Wilhelm sehr viel an einer Annäherung an England liegt und dass er von ganzem Herzen hofft, dass England in irgendeiner Form entgegen kommen und ihn auf halbem Weg treffen würde.« 47 In einer vielzitierten Rede vom Februar 1901, die Wilhelm im Marlborough House anlässlich seiner Abreise aus England nach der Beerdigung Königin Victorias hielt, erklärte er ganz offen, dass Großbritannien und Deutschland ein Bündnis eingehen sollten: »Mit einem solchen Bündnis könnte sich in Europa nicht einmal eine Maus mehr ohne unsere Einwilligung regen.« 48 Man könnte natürlich einwenden, dass derartige Äußerungen kaum mehr als große Worte in der Erregung des Augenblicks waren, doch dieser Einwand wird durch die Konsequenz widerlegt, mit der Wilhelm in der ganzen Vorkriegszeit immer wieder auf diesen Punkt zu sprechen kam. Andererseits könnte man argumentieren, das öffentlich geäußerte Interesse an einer Allianz sei lediglich ein zynischer Versuch gewesen, die deutschen Pläne während des Baus der Flotte zu »tarnen«, indem man die britische Öffentlichkeit über die wahren Absichten im Dunkeln ließ. Aber das würde nicht die vielen gleichlautenden Äußerungen in einem Kontext erklären, wo es mit Sicherheit nicht um eine Irreführung der öffentlichen Meinung ging, zum Beispiel in Randbemerkungen an die diplomatische Korrespondenz oder in privaten Unterhaltungen: »Ein Feind Englands werde Ich nie sein«, sagte er dem österreichischen Botschafter Ladislaus Graf von Szögyény-Marich im Januar 1902, »trotz aller Sottisen, denen Ich von seiner Seite fortwährend ausgesetzt bin.« 49 Noch im März 1913 äußerte er gegenüber dem württembergischen Gesandten in Berlin seine Zuversicht, dass die britischen Befürchtungen wegen der deutschen Seemacht schon bald einer friedlichen Beziehung weichen würden, die auf gegenseitigem Respekt gründe. 50
    Mit anderen Worten, der grundlegende Kurswechsel von 1897 leitete offenbar eine unheilvolle Meinungsverschiedenheit zwischen der unscharfen und unentschlossenen Linie des Monarchen und dem allzu zielstrebigen Vorgehen seines einflussreichen Untertanen ein. Wie Volker Berghahn ausführt, bestand Wilhelms Eingreifen in die Politik nicht darin, dass er »der Mann der klaren Vorstellungen war, der die harte Denk- und Vorbereitungsarbeit leistete und andere danach zur Durchführung seiner selbstentwickelten Pläne antrieb«. 51 Es verwundert deshalb nicht, dass ihm zunehmend die Grenzen seiner Kontrolle über die Flottenpolitik bewusst wurden, die er selbst eingeleitet hatte. »Es ist ihm [Seiner Majestät] unangenehm, dass er noch nicht allein die Sache macht und vor allem in den wissenden Kreisen der Marine allein als der Machende dasteht.« Diese Worte schrieb Tirpitz im Jahr 1903, er wertete das Unbehagen des Monarchen als weiteren Beweis für dessen Oberflächlichkeit: »Das ist das Traurige und Betrübende bei dem befähigten Monarchen, dass er den Schein höher stellt als das Wesen.« 52 Doch in Wahrheit war es mit Sicherheit so, dass Tirpitz selbst die Kontrolle über die wesentlichen Punkte des Flottenprogramms an sich gerissen und Wilhelm nur dem Schein nach die Kontrolle gelassen hatte.

Auswege (1904-1906)
     
    Im Sommer 1904 war die diplomatische Lage des Deutschen Reiches bereits erheblich schlechter als bei Bismarcks Abschied aus dem Amt. Das zehn Jahre zuvor zwischen Russland und Frankreich geschlossene Bündnis hatte eine Ära enger militärischer und industrieller Zusammenarbeit zwischen den deutschen Nachbarn im Osten und Westen eingeleitet und prägte die europäische Bühne allem Anschein nach dauerhaft. Die Gefahr, die von dieser Konstellation für die Sicherheit des Reiches ausging, wurde im Jahr 1899 noch gesteigert, als der Wortlaut des Vertrages geändert wurde und damit einen deutlich antideutschen

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