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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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unter dem hohen Turm, gelangt, antwortete Markus, indem er seine Braut, in deren Wangen eine leise Röte stieg, anblickte, wo…
    – Wo?… fragte Myra.
    – Wo ich aus Ihrem Munde das süßeste und inhaltsreichste aller Worte hören werde, obwohl es nur aus einer kurzen Silbe besteht.«
    Wir waren ziemlich lange auf der Galerie des Aussichtsturmes geblieben und gingen nun in den Garten, wo uns Frau Roderich erwartete.
    Ich speiste an diesem Tage an der Familientafel; den Abend verbrachten wir im engsten Kreise. Fräulein Myra setzte sich mehrmals ans Klavier und begleitete selbst jene so originellen ungarischen Melodien, Oden, Elegien, Epen und Balladen, die sie mit klangvoller Stimme vortrug und die man nicht ohne tiefe Bewegung hören kann. Es war wunderschön und unser Beisammensein hätte sich vielleicht bis in eine ziemlich vorgerückte Stunde der Nacht verlängert, wenn Hauptmann Haralan nicht das Zeichen zum Aufbruch gegeben hätte.
    Als wir uns wieder im Hotel Temesvár, in meinem Zimmer befanden, wohin mir Markus gefolgt war, fragte er:
     

    Fräulein Myra setzte sich mehrmals ans Klavier. (S. 56.)
     
    »Habe ich übertrieben, oder glaubst Du, daß es auf der ganzen Welt ein anderes junges Mädchen…
    – Ein anderes! unterbrach ich ihn. Ich frage mich überhaupt, ob es dieses eine gibt, ob Fräulein Myra Roderich wirklich existiert?
    – Ach, Heinrich! Wenn Du wüßtest, wie ich sie liebe!
    – Das ist sehr begreiflich und setzt mich gar nicht in Erstaunen, mein lieber Markus. Wäre es nicht der Fall, würde ich meinen Bruder verleugnen.«
    Darauf suchten wir unser Lager auf. Keine Wolke hatte diesen friedvollen, glücklichen Tag verdüstert.

V.
    Schon am folgenden Tage begann ich meine Wanderungen durch Ragz in Gesellschaft des Hauptmanns Haralan. Markus war während dieser Zeit beschäftigt, verschiedene, auf seine Vermählung bezügliche Formalitäten zu erledigen; man hatte das Datum auf den 1. Juni festgesetzt. Bis dahin waren noch ungefähr zwanzig Tage. Hauptmann Haralan rechnete es sich zur Ehre an, mich mit seiner Vaterstadt bekannt zu machen und zeigte mir jede bemerkenswerte Einzelheit. Es wird kaum einen gewissenhafteren, gebildeteren und liebenswürdigeren Führer geben als ihn.
    Obwohl mich die Erinnerung an Wilhelm Storitz mit einer Hartnäckigkeit verfolgte, die mich manchmal selbst in Erstaunen setzte, erwähnte ich diesen Namen ihm gegenüber niemals, wie ich ja auch mit meinem Bruder nur kurz von ihm gesprochen hatte. Da auch er über diesen Punkt Schweigen beobachtete, war es wahrscheinlich, daß sich überhaupt keine Gelegenheit mehr ergeben würde, darüber jemals zu sprechen.
    Wie die Mehrzahl der ungarischen Städte hat auch Ragz zu verschiedener Zeit verschiedene Namen gehabt. All diese Städte können einen Taufschein vorweisen, der in vier oder fünf Sprachen – der deutschen, lateinischen, slawischen, magyarischen – abgefaßt und fast ebenso kompliziert ist, wie derjenige ihrer Prinzen, Großherzoge und Erzherzoge.
    »Unsere Stadt hat natürlich nicht die Bedeutung von Budapest, sagte Hauptmann Haralan zu mir Trotzdem hat ihre Bevölkerungszahl die Ziffer vierzigtausend erreicht und dank ihrer reichen Industrie und des ausgebreiteten Handels erfreut sie sich eines guten Namens im Königreich Ungarn.
    – Es ist eine Stadt von echt ungarischem Aussehen, bemerkte ich.
    – Gewiß! Sowohl wegen der erhaltenen Sitten und Gebräuche, als auch wegen der Landestracht, welche die Einwohner mit Vorliebe tragen. Wenn man mit einiger Berechtigung sagen kann, daß die Magyaren den Staat, die Deutschen aber die Städte geschaffen hätten, so ist diese Behauptung auf Ragz nicht zutreffend. Unter den Kaufleuten wird man wohl auch Vertreter der germanischen Rasse finden, aber sie sind in der Minderheit vertreten.
    – Ich wußte es, wie ich auch weiß, daß die Bewohner von Ragz sehr stolz darauf sind, ihre Stadt von aller Vermischung rein erhalten zu haben.
    – Die Magyaren – sie sind nicht mit den Hunnen zu verwechseln, wie es schon oft geschehen ist – fügte Hauptmann Haralan hinzu, bilden eine feste politische Verbindung und von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, ist Ungarn Österreich überlegen.
    – Und die Slawen? erkundigte ich mich.
    – Die Slawen sind weniger zahlreich als die Magyaren, mein lieber Vidal, aber in größerer Zahl als die Deutschen vertreten.
    – Aber mit welchen Augen betrachtet man sie in Österreich-Ungarn?
    – Ich kann nur sagen, daß sie nicht

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