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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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und teuer beschwor, auch nicht ein Glas über die Lippen gebracht zu haben; der Marktaufseher befahl ihm schließlich in barschem Tone, weiterzugehen.
    Der Vorfall war abgetan und wir folgten einem der steilen Wege, die nach dem Osten der Stadt führen. Ein des Ortes Unkundiger könnte sich in diesen vielfach verschlungenen Gassen und Gäßchen unmöglich allein zurechtfinden.
    Endlich langten wir vor dem Schlosse an, das trotzig vom Rücken des »Wolkang« getauften Hügels emporragt.
    Ja, so mußte die Festung der alten ungarischen Städte aussehen, die Akropolis, oder – um die magyarische Bezeichnung anzuwenden – die
»Vár«,
die uneinnehmbare Zitadelle des Mittelalters, gleich furchtbar den Feinden von außen, Hunnen und Türken, wie den rebellischen Vasallen des Lehensherrn. Hohe, mit Zinnen gekrönte, mit Schießscharten versehene Mauern wurden noch durch mächtige Türme befestigt; von dem höchsten, dem Wartturm, dem Luginsland aus, vermochte man die ganze Gegend weit hinaus zu überblicken.
    Die Zugbrücke, die über den tiefen Schloßgraben geworfen war, in dem jetzt verworrenes Dornengestrüpp sein Dasein fristete, führte uns zur ehemaligen Ausfallpforte, die zwischen zwei außer Gebrauch gesetzten Mörsern lag. Daneben gähnten die drohenden Schlünde mächtiger Kanonen.
    Der Rang des Hauptmanns Haralan öffnete uns leicht die Pforte der alten Festung, deren militärische Bedeutung heute nicht mehr sehr groß ist. Die wenigen Soldaten, welchen die Bewachung oblag, erwiesen Hauptmann Haralan die seinem Range gebührenden militärischen Ehrenbezeigungen. Als wir im inneren Burghofe waren, schlug er mir vor, den Wachtturm zu besteigen, der aus der einen Ecke des Hofes dräuend emporstieg.
    Nicht weniger als zweihundert Stufen mußten wir auf einer steilen Wendeltreppe erklimmen, ehe wir die oberste Plattform des Turmes erreichten. Während ich dem Geländer entlang schritt, konnten meine Blicke ein viel ausgedehnteres Bild umfassen als von der Höhe des Aussichtsturmes im Hause des Dr. Roderich. Den von hier sichtbaren Teil der Donau, die in östlicher Richtung Neusatz zuströmt, schätzte ich auf sieben Meilen.
    »Sie haben bisher unsere Stadt teilweise kennen gelernt, lieber Vidal, sagte Hauptmann Haralan zu mir, zu Ihren Füßen breitet sie sich jetzt in ihrer ganzen Größe aus.
    – Und was ich bisher von ihr gesehen habe, antwortete ich, hat mich sehr interessiert, obwohl ich von Preßburg und Budapest komme.
    – Wie ich mich freue, Sie so urteilen zu hören; und wenn Sie Ragz erst ganz kennen werden, wenn Sie sich mit all seinen Sitten, Gebräuchen und Eigentümlichkeiten vertraut gemacht haben werden, zweifle ich nicht daran, daß Sie uns und unserer Stadt ein freundliches Andenken bewahren werden. Wir Magyaren lieben unsere Städte mit einer kindlichen Liebe. Hier sind überdies die Beziehungen der verschiedenen Gesellschaftsklassen ganz vorzügliche. Der wohlhabende Teil der Bevölkerung hilft den weniger vom Glück Begünstigten und die Zahl der Armen nimmt alljährlich ab dank der vielen Wohltätigkeitsanstalten. Sie werden hier nur wenigen wirklich Bedürftigen begegnen, denn sobald man Kunde erlangt von einer unglücklichen Existenz, wird ihr auch geholfen.
    – Ich weiß es, lieber Hauptmann, und ich weiß auch, daß Dr. Roderich mit bedeutenden Mitteln den Armen zu Hilfe kommt und daß Frau und Fräulein Roderich die Werke der Nächstenliebe leiten.
    – Meine Mutter und Schwester tun nur, was sie ihrem Range, ihrer Lebensstellung schuldig sind. Meiner Ansicht nach gehört Wohltun zu den ersten und heiligsten Pflichten.
    – Ganz gewiß, stimmte ich ihm bei, aber es gibt so viele Arten des Wohltuns!
    – Das ist ein Geheimnis der Frauen, mein lieber Vidal, und eine ihrer schönsten Aufgaben hienieden.
    – Wenn nicht die edelste von allen!…
    – Wir bewohnen eine sehr friedliche Stadt, fuhr Hauptmann Haralan fort, die von dem Feuer politischer Leidenschaften wenig oder gar nicht erregt wird, aber eifersüchtig die Wahrung ihrer Rechte und Privilegien bewacht und dieselben bis zum letzten Blutstropfen gegen Anfeindungen und Angriffe der Machthaber des Zentrums verteidigen würde. Ich kenne an meinen Mitbürgern nur einen Fehler…
    – Und der ist?…
    – Eine beklagenswerte Neigung zum Aberglauben und ihre Leichtgläubigkeit in bezug auf übernatürliche Dinge. Alte Sagen, die von Gespenstern, Erscheinungen, Beschwörungen und Teufelskünsten handeln, gefallen ihnen mehr als recht

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