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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Frau, welche alle häuslichen Tugenden in sich zu vereinen schien, im Zusammenleben mit ihrem Gatten das höchste Glück gefunden hatte und in der Liebe für ihren Sohn und ihre Tochter mit der ganzen Zärtlichkeit einer weisen und umsichtigen Mutter aufging.
    Frau Roderich nahm mich mit großer Herzlichkeit auf, die mich tief bewegte. Sie sei glücklich, sagte sie, Markus Vidals Bruder in ihrem Hause begrüßen zu können, besonders dann, wenn er es als das seine betrachten wolle.
    Aber was soll ich von Myra Roderich sagen? Sie kam lächelnd auf mich zu, die Hand oder vielmehr die Arme ausgestreckt. Ja, dieses junge Mädchen sollte mir eine liebe Schwester werden, eine Schwester, welche mich umarmte und die ich ohne Umstände küßte. Und ich habe alle Ursache zu glauben, daß Markus, als er dies sah, den Stachel des Neides gefühlt hat.
    »Mir ist das noch nicht gestattet, seufzte er nicht ganz frei von Eifersucht.
    – Sie sind auch nicht mein Bruder!« belehrte ihn fröhlich meine künftige Schwägerin.
    Myra Roderich war genau so, wie sie Markus mir geschildert, genau so, wie das Bild sie darstellte, das ich vor wenigen Augenblicken bewundert hatte: ein junges Mädchen, dessen reizender Kopf von einer Fülle seidenweicher, blonder Haare umgeben war, zuvorkommend, lebhaft, mit prächtigen, geistvollen, tiefblauen Augen; ihre Wangen zeigten das warme, ungarische Kolorit, die rosigen Lippen des sein gezeichneten Mundes öffneten sich über leuchtenden, weißen Zähnchen. Ihre Gestalt überragte die Mittelgröße, ihr Gang war schwebend: sie war die personifizierte Anmut, voll vornehmer Würde, ohne jede Unnatürlichkeit und Pose.
    Wenn man von Markus’ Bildern behauptete, sie seien ähnlicher als ihre Vorbilder, so konnte man mit noch größerer Berechtigung von Myra Roderich behaupten, sie sei natürlicher als die Natur!
    Sie trug gleich ihrer Mutter die ungarische Nationaltracht: das am Halse geschlossene Hemd, dessen Ärmel am Handgelenk durch Stickereien zusammengehalten wurden und das mit Metallknöpfen verzierte Mieder; der Gürtel wurde von einer Masche aus golddurchwirktem Band zusammengehalten, der Rock fiel in weichen Falten bis auf die Knöchel nieder, die Schuhe waren aus goldbraunem Leder – das Gesamtbild war sehr günstig und auch der geläutertste Geschmack würde daran nichts Tadelnswertes gefunden haben!
    Hauptmann Haralan war auch anwesend in seiner prächtigen Uniform; jetzt erst fiel mir die große Ähnlichkeit mit seiner Schwester auf. Auch er hatte mir die Hand gereicht, mich als Bruder begrüßt; wir waren schon gute Freunde, wenn auch die Freundschaft erst am Vorabende geschlossen worden war. Jetzt war ich also mit allen Mitgliedern der Familie bekannt.
    Das Gespräch entwickelte sich zwanglos und sprang von einem Thema auf das andere über. Wir sprachen von meiner Reise, der Schiffahrt an Bord der »Dorothea«, von meinen Beschäftigungen in Frankreich, von der Zeit, die mir zur Verfügung stand, von der schönen Stadt Ragz, mit deren Merkwürdigkeiten man mich bekannt machen wollte, von dem alten Donaustrom, dessen Wellen die Sonnenstrahlen einzuatmen scheinen und dessen Lauf ich mindestens bis zum Eisernen Tor verfolgen sollte, vom Magyarenlande, das so reich ist an historischen Erinnerungen, von der weltberühmten Pußta, die alle Neugierigen der Welt anzieht etc.
    »Wie froh sind wir, Sie jetzt in unserer Mitte zu wissen, Herr Vidal! wiederholte Myra Roderich, indem sie mit einer anmutigen Bewegung die Hände verschlang. Ihre Reise zog sich in die Länge und wir waren schon sehr in Sorge um Sie. Ganz beruhigt waren wir erst, nachdem wir Ihren Brief aus Pest erhalten hatten.
    – Ich fühle mich sehr schuldbewußt, Fräulein Myra, antwortete ich, daß ich mich unterwegs aufgehalten habe. Ich hätte längst schon in Ragz sein können, wenn ich von Wien ab den Postwagen benützt hätte. Aber die Ungarn hätten es mir wahrscheinlich niemals verziehen, ihre Donau verachtet zu haben, auf die sie – und mit vollster Berechtigung – so stolz sind und die ihren Ruf verdient.
    – Jawohl, pflichtete mir Herr Roderich bei, die Donau ist unser ruhmreicher Strom und unser unbestrittenes Eigentum von Preßburg bis Belgrad.
    – Nach dieser Rechtfertigung werden wir Ihnen wohl verzeihen müssen, Herr Vidal, meinte Frau Roderich; schließlich sind Sie ja jetzt da und nichts steht mehr dem Glücke dieser beiden Kinder im Wege.«
    Während sie sprach, suchten ihre zärtlichen Blicke ihre Tochter und

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