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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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begeben.
    – Sie müssen seine Zustimmung erbitten? fragte ich sehr erstaunt.
    – Ja; es ist dies eine uralte, lokale Sitte. Ohne die Erlaubnis der höchsten Autorität der Stadt darf keine Hochzeit gefeiert werden. Diese Autorisation an sich bildet ein sehr festes Band zwischen den beiden, welchen sie erteilt wird: sie sind zwar noch nicht verheiratet, aber sie sind schon mehr als Verlobte und, im Falle ein unvorhergesehenes Hindernis die Heirat unmöglich machen sollte, dürften die beiden unter keinen Umständen ein neues Verlöbnis eingehen.«
    Während mir Hauptmann Haralan diesen merkwürdigen Brauch erklärte, waren wir in die Ladislaus-Straße gelangt, die an ihrem Ende von der St. Michaels-Kathedrale abgeschlossen wird, einem Bauwerke aus dem 13. Jahrhundert, das sich nicht gerade durch Reinheit des Stils auszeichnet, denn die Kirche trägt sowohl gotische als auch romanische Motive an sich. Dennoch weist der Bau schöne Partien auf, die dem Kenner auffallen: die von zwei Türmen eingefaßte Fassade, den dreihundertundfünfzehn Fuß hohen Glockenturm, der sich über dem Querschiff erhebt, das Hauptportal mit den sein gearbeiteten Bogenrundungen und der großen Rosette, durch welche die Strahlen der untergehenden Sonne fallen, die dann das große Kirchenschiff hell erleuchten, und schließlich die runde Apsis zwischen den vielen, schlanken Strebepfeilern.
    »Wir werden später Gelegenheit finden, das Innere zu besichtigen, bemerkte Hauptmann Haralan.
    – Wie Sie glauben, antwortete ich; Sie sind ja mein Fahrer, lieber Hauptmann, und ich bin Ihnen…
    – Gut, sehen wir uns noch das Schloß an; dann umgehen wir die Stadt längs der Wälle und kommen gerade rechtzeitig zum Mittagessen nach Hause.«
    Ragz besitzt auch einige evangelische und griechische Kirchen ohne allen architektonischen Wert und noch viele andere Gotteshäuser, denn das katholische Glaubensbekenntnis ist in der Majorität vertreten. Ungarn bekennt sich größtenteils zum römisch-katholischen Ritus, obwohl die Hauptstadt Budapest nach Krakau diejenige Stadt ist, welche die größte Anzahl Juden beherbergt. Hier, wie auch anderswo nur allzuhäufig, ist das Vermögen der Magnaten fast gänzlich in ihren Besitz übergegangen.
    Während wir uns unserem Ziele, dem Schloß, näherten, kamen wir durch einen sehr belebten Vorort, wo Käufer und Verkäufer einander drängten. Im selben Augenblicke, als wir einen kleinen Platz betraten, erhob sich plötzlich ein furchtbares Geschrei, das unmöglich von dem Lärm des Kaufes und Verkaufes allein herrühren konnte.
    Mehrere Frauen hatten ihre Standplätze verlassen und umringten einen Mann, einen Bauer, welcher zu Boden gefallen war und sich jetzt schwerfällig erhob. Der Mann schien sehr zornig.
    »Ich sage Euch, jemand hat mich geschlagen… man hat mir einen Stoß versetzt, so daß ich gestürzt bin!
    – Wer soll Dich denn geschlagen haben? erwiderte eine der Frauen…. Du bist ja jetzt ganz allein gestanden…. Ich konnte Dich von meinem Platz aus sehr gut sehen…. Es war kein Mensch in Deiner Nähe zu erblicken….
    – Und doch hat mich jemand gestoßen, behauptete der Mann; es war ein heftiger Schlag auf die Brust…. Zum Teufel! Ich habe es doch gefühlt!«
    Hauptmann Haralan, welcher den Bauer ansprach, erhielt folgende Erklärung: der Mann war ganz ruhig über den Platz gegangen, als er plötzlich einen heftigen Stoß verspürte; es war, als ob ihn ein kräftiger Mann mit aller Macht auf die Brust geschlagen hätte und die Erschütterung war so groß, daß er dadurch zu Boden geschleudert worden war. Wer der Angreifer gewesen, konnte er nicht sagen, denn er hatte, als er sich mühsam aufrichtete, niemanden in seiner Nähe bemerkt.
    Was war wahr an diesem Berichte? Hatte der Bauer wirklich einen brutalen, unvorhergesehenen Schlag erhalten? Wenn ein Mensch einen Stoß verspürt, so muß folgerichtig irgend eine Gewalt diesen Stoß verursacht haben, z. B. ein heftiger Wind. Aber nein! Die Luft war vollkommen unbewegt. An der ganzen Sache war nur eines gewiß: der Bauer war gefallen, und zwar auf ganz unerklärliche Weise.
    Daher die Ansammlung von Neugierigen.
    Entweder sah der Mann am lichten Tage Gespenster oder – er hatte über den Durst getrunken. Ein Trunkener fällt auch ohne Ursache, nur dem Gesetze der Anziehungskraft der Erde gehorchend.
     

    Plötzlich verspürte er einen heftigen Stoß. (S. 64.)
     
    Das letztere schien auch die allgemeine Ansicht zu sein, obwohl der Bauer hoch

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