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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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gelungen, ihn zurückzuhalten; aber trotz der Gründe, die sein Vater und ich geltend machten, trotz der in die Augen springenden Notwendigkeit die Sache der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, kam er immer wieder darauf zu sprechen und ich fürchtete, er würde uns doch noch entkommen.
    Eines Morgens suchte er mich auf und ich erriet gleich aus seinen ersten Worten, daß er entschlossen war, abzureisen.
    »Sie werden das nicht tun, mein lieber Haralan, erklärte ich. Sie dürfen das nicht tun. Eine Begegnung zwischen Ihnen und dem Preußen ist unmöglich. Ich beschwöre Sie, verlassen Sie Ragz nicht.
    – Mein lieber Vidal, entgegnete der Hauptmann in einem Ton, der seinen unwiderruflichen Entschluß verriet, der Elende muß bestraft werden.
    – Die Strafe wird ihn auch sicherlich ereilen, früh oder spät. Aber die Hand, die ihn greifen darf, ist die Hand der Polizei.«
    Hauptmann Haralan erkannte, daß ich im Rechte sei, aber er wollte sich nicht als überwunden erklären.
    »Mein lieber Vidal, antwortete er, und seine Stimme sagte mir, daß ich mir keine Hoffnungen auf Erfolg machen dürfe, wir betrachten die Angelegenheit von einem verschiedenen Standpunkte aus. Meine Familie, welche bald Ihres Bruders Familie sein wird, ist beleidigt worden, und ich soll diese Beleidigungen nicht rächen dürfen?
    – Nein, das ist Sache der weltlichen Gerechtigkeit.
    – Wie kann sie ihn bestrafen, wenn er gar nicht zurückkommt?… Heute Morgen hat der Gouverneur ein Ausweisungsdekret unterzeichnet, das Storitz die Rückkehr hierher unmöglich macht. Ich muß hingehen, wo er ist, wo er noch sein muß, nach Spremberg.
    – Gut, gab ich schließlich nach, aber warten Sie wenigstens die Hochzeit Ihrer Schwester ab. Nur noch wenige Tage Geduld und dann bin ich der erste, welcher Sie zur Abreise drängt. Ich werde Sie sogar nach Spremberg begleiten!«
    Ich redete ihm so überzeugungsvoll zu, daß das Gespräch schließlich mit seinem formellen Versprechen beendet wurde, er wolle sich zurückhalten lassen unter der Bedingung. daß ich mich nach den Hochzeitsfeierlichkeiten seinem Projekt nicht mehr in den Weg stellen und die Reise mit ihm antreten wolle.
    Die Stunden, die uns noch von dem 1. Juni trennten, erschienen mir endlos lange Denn wenn ich es auch für meine Pflicht erachtete, den andern Mut zuzusprechen konnte ich mich selbst einer geheimen Furcht nicht erwehren. Und oft geschah es, daß ich den Tököly-Wall auf und ab schritt, wie von unsichtbarer Gewalt getrieben.
    Das Haus des Wilhelm Storitz war in demselben Zustand verblieben, in dem die Polizei es verlassen; Fenster und Türen waren geschlossen, Hof und Garten verödet. Auf der Straße standen Polizeileute, deren Aufsicht sich bis an die alten Befestigungen und auf das angrenzende Land erstreckte. Es war kein Versuch gemacht worden, in das Haus einzudringen, weder durch den Herrn, noch durch den Diener. Und dennoch – was vermag nicht die Einbildung! Trotz aller meiner Versicherungen Hauptmann Haralan, Markus und mir gegenüber, wäre ich nicht im mindesten erstaunt gewesen, wenn ich aus dem Kamin des Laboratoriums Rauch aufsteigen oder eine Gestalt hinter dem Fenster gesehen hätte.
    Die Bewohner von Ragz hatten sich von dem überstandenen Schrecken beruhigt, niemand dachte mehr an das Vergangene; dafür verfolgte das Furchtgespenst Wilhelm Storitz Dr. Roderich. meinen Bruder, Hauptmann Haralan und mich.
    Am Nachmittage des 30. Mai richtete ich, Zerstreuung suchend, meine Schritte nach der Brücke der Svendor-Insel, um auf das rechte Donauufer zu gelangen.
    Ehe ich die Brücke erreichte, kam ich an dem Landungsplatz vorüber, an welchem eben ein von oben kommendes Passagierschiff anlegte.
    Dieser Umstand brachte mir meine Reiseerlebnisse in Erinnerung, mein Zusammentreffen mit dem Deutschen, sein herausforderndes Auftreten, das Gefühl der Antipathie, das er mir vom ersten Augenblicke an eingeflößt hatte, die Worte, die ich gehört, nachdem ich ihn in Vukovár ausgeschifft glaubte; denn er war es, welcher die Drohworte gesprochen hatte. Ich hatte seine Stimme im Salon bei Dr. Roderich wieder erkannt. Das war dieselbe Artikulation, dieselbe deutsche Härte, derselbe rauhe Ton. Unter dem Einfluß dieser Ideen betrachtete ich mir jeden der Passagiere, die in Ragz ans Land kamen. Ich suchte das blasse Gesicht, die wilden Augen, den teuflischen Ausdruck dieses Menschen…. Aber meine Mühe war vergeblich.
    Um sechs Uhr nahm ich wie gewöhnlich am Familientisch

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