Wilhelm Storitz' Geheimnis
Spuren dieser Sitte auffinden, die etwas Patriarchalisches an sich hat, nachdem das Oberhaupt sich als Vater der Bürger betrachtet; eine Sitte, die sich in Ragz bis auf diesen Tag erhalten hat.
Die junge Braut trug eine reizende und gewählte Toilette, Frau Roderich war mit einfacher Eleganz gekleidet, Dr. Roderich, der Richter, mein Bruder und ich hatten Hofkleider angelegt und die beiden Offiziere erschienen in Paradeuniform.
Einige Personen umstanden die Wagen, Frauen und junge Mädchen aus dem Volke, für die jede Hochzeit ein Ereignis ist und die teilnehmendste Neugierde wachruft. Wahrscheinlich war bei der Zeremonie in der Kirche eine bedeutend größere Zuschauermenge zu erwarten.
Die beiden Wagen fuhren langsam durch das Haupttor längs des Batthyány-Kais, der Prinz Milosch-Straße, der Ladislaus-Straße und hielten vor dem Regierungspalaste.
Hier, auf dem Platze und im Hofe des Gebäudes waren noch mehr Neugierige versammelt. Vielleicht hatte sie doch die Erinnerung an die stattgehabten Vorfälle herbeigelockt. Vielleicht warteten sie auf ein neues außergewöhnliches Ereignis.
Bald darauf hatten wir, Fräulein Myra am Arme ihres Vaters, Frau Roderich am Arme Herrn Neumans, Markus, Hauptmann Haralan, Leutnant Armgard und ich den Festsaal betreten, der durch hohe, von Glasmalereien bedeckte Fenster erhellt und mit kostbaren Wandschnitzereien ausgestattet war; wir begaben uns auf unsere Plätze. In der Mitte des Saales stand ein Tisch mit zwei prachtvollen Blumensträußen.
Myras Eltern hatten zu beiden Seiten des Brautpaares Platz genommen, die vier Zeugen hatten ihre Sitze weiter rückwärts; Herr Neuman und Hauptmann Haralan links, Leutnant Armgard und ich rechts.
Der Zeremonienmeister kündete das Nahen des Gouverneurs an. Bei seinem Eintritt erhoben sich alle von ihren Sitzen.
Einige Personen umstanden die Wagen. (S. 140.)
Er nahm auf seinem Thronsessel Platz; darauf wandte er sich an die Eltern mit der Frage, ob sie zu der Verbindung ihrer Tochter mit Herrn Vidal ihre Zustimmung erteilten. Dann kam die Reihe der üblichen Fragen an das Brautpaar:
»Markus Vidal, versprechen Sie, Myra Roderich zur Gattin zu nehmen?
– Ich schwöre es, antwortete Markus, welcher von allem in Kenntnis gesetzt worden war.
– Myra Roderich, versprechen Sie, Markus Vidal zum Gatten zu nehmen?
– Ich schwöre es, antwortete Fräulein Myra.
– Wir, Gouverneur von Ragz, sprach nun Seine Exzellenz mit lauter Stimme, erteilen kraft der uns von Ihrer Majestät der Kaiserin-Königin verliehenen Gewalt und gemäß den durch Jahrhunderte treu bewahrten Privilegien der Stadt Ragz, die Bewilligung zu einer Verbindung Markus Vidals mit Myra Roderich. Wir wünschen und befehlen, daß die Trauung morgen in üblicher Weise in der Kathedrale der Stadt vollzogen werde.«
Alles war in gewohnter Ordnung abgelaufen. Kein Wunder hatte die Zuschauer in Erstaunen gesetzt und – obwohl ich mich plötzlich der Angst nicht erwehren konnte – es wurde weder das Dokument mit den Unterschriften zerrissen, noch die Feder aus der Hand des Brautpaares und der Zeugen genommen.
Unzweifelhaft, Wilhelm Storitz weilte noch in Spremberg! Mochte er immer dort bleiben, zur Freude seiner Mitmenschen! – Oder, wenn er dennoch in Ragz sein sollte, dann war seine Macht eben erschöpft!
Jetzt wurde Myra Roderich die Frau Markus Vidals, ob mit oder ohne Zustimmung des abgedankten Zauberers.
XII.
Der 1. Juni war endlich angebrochen, dieser so ungeduldig herbeigesehnte Tag, dieses bedeutungsvolle Datum! Endlich waren wir so weit! Noch wenige Stunden und der Trauungsakt wurde in der Kathedrale von Ragz vollzogen.
Nach dem ungestörten Verlauf der Audienz beim Gouverneur war bei uns auch die letzte Spur von Furcht verschwunden, welche die Erinnerung an die unaufgeklärten Zwischenfälle, die sich vor etwa zwölf Tagen abgespielt, zurückgelassen haben konnten.
Ich erhob mich frühzeitig. Aber wie große Eile ich auch an den Tag legte, Markus war noch schneller gewesen. Ich war noch nicht mit dem Ankleiden fertig, als er zu mir ins Zimmer trat.
Er war schon für die Feier gekleidet und strahlte vor Glück, kein Schatten verdüsterte den seligen Ausdruck seiner Züge. Er umarmte mich gerührt und ich drückte ihn an mein Herz.
»Myra, sagte er, hat mir aufgetragen, Dir in Erinnerung zu bringen…
– Daß heute der große Tag ist, ergänzte ich lachend. Nun, sage ihr, nachdem ich die festgesetzte Stunde der Audienz beim Gouverneur
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