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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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gestern nicht vergessen habe, werde ich auch heute die bestimmte Zeit nicht versäumen. Ich habe gestern meine Uhr nach dem Glockenturm gerichtet. Aber Du, Markus, nimm Dich vor dem Zuspätkommen in acht! Du weißt, daß Deine Gegenwart unumgänglich notwendig ist und man ohne Dich nichts anfangen könnte!«
    Er eilte fort und ich beendete rasch meine Toilette, obwohl es erst neun Uhr morgens war.
     

    »Ach, lieber Bruder, wie glücklich ich bin!« (S. 146.)
     
    Wir wollten uns im Hause des Doktors versammeln. Von dort aus sollten die Wagen uns in die Kirche bringen. Um meine Pünktlichkeit ja recht leuchten zu lassen, erschien ich lange vor der angesetzten Zeit; ein reizendes Lächeln der Braut belohnte mich – und ich wartete im Salon.
    Nach und nach erschienen dieselben Persönlichkeiten, welche gestern der Zeremonie im Regierungspalast beigewohnt hatten, alle, wie am Vorabend, in den reichsten Festgewändern. Die beiden Offiziere hatten an ihren glänzenden Uniformen des Regiments der Militärgrenze Orden und Medaillen befestigt.
    Myra Roderich – aber warum sage ich nicht Myra Vidal, nachdem die beiden Verlobten durch den Ausspruch des Gouverneurs schon auf ewig verbunden waren – Myra trug ein weißes Seidenkleid mit langer Schleppe, das mit Orangenblüten bestickt war; sie sah entzückend aus. Neben ihr lag das prächtige Brautbukett und auf ihren blonden Haaren ruhte der hochzeitliche Kranz, von dem in weichen Falten der weiße Spitzenschleier herabhing. Es war derselbe Kranz, den ihr mein Bruder gebracht hatte; sie wollte keinen anderen tragen.
    Als sie mit ihrer Mutter den Salon betrat, kam sie auf mich zu und reichte mir die Hand. Ich drückte sie herzlich, brüderlich. Die Freude, das Glück leuchtete aus ihren Augen.
    »Ach, lieber Bruder, rief sie, wie glücklich ich bin!«
    So blieb von den bösen, vergangenen Tagen, den traurigen Erfahrungen, welche diese liebenswürdige Familie zu erleiden gehabt, keine trübe Erinnerung zurück.
    Selbst Hauptmann Haralan schien alles vergessen zu haben und zum Beweise dessen drückte er mir die Hand und sagte:
    »Nein!… Denken wir nicht mehr daran!«
    Das Programm des Tages, das allgemeinen Beifall gefunden hatte, war folgendes: Um dreiviertel auf zehn Uhr Abfahrt nach der Kathedrale, wo der Gouverneur, die Autoritäten und bedeutenden Männer der Stadt das Brautpaar empfangen sollten. Nach der Messe und Unterzeichnung des Trauscheines in der Sakristei zum heiligen Michael – Vorstellung und Entgegennahme der Glückwünsche. Rückfahrt zum Festmahl, das ungefähr fünfzig Personen zählen sollte. Am Abend großer Empfang bei Dr. Roderich, wofür fast zweihundert Einladungen ergangen waren.
    Die Wagen wurden in der gleichen Reihenfolge benützt wie am Vortage; den ersten bestiegen die Braut, Herr und Frau Roderich und Herr Neuman; den zweiten Markus und wir drei Zeugen. Nach der Trauung sollten Markus und Myra Vidal, auf immer vereint, im ersten Wagen zurückfahren. Die übrigen geladenen Gäste wurden gleichfalls mit Wagen zur Kirche geführt.
    Wie bestimmt, setzten sich die Wagen eine Viertelstunde vor zehn Uhr in Bewegung. Das Wetter war herrlich, am Himmel erstrahlte die Sonne in all ihrer Pracht. Auf den Straßen eilten zahlreiche Menschen der Kathedrale zu. Alle Blicke suchten den ersten Wagen. Blicke der Bewunderung und Sympathie trafen die strahlende Braut und Markus empfing, wie ich zu meiner Freude bemerkte, auch seinen Tribut der herzlichen Teilnahme. Aus den Fenstern blickten lächelnde Gesichter und von allen Seiten kamen die freundlichsten Grüße, so daß man kaum Zeit fand, alle zu bemerken.
    »Wahrhaftig, sagte ich, ich werde nur angenehme Erinnerungen an Ragz mitnehmen!
    – Die Ungarn ehren in Ihnen Frankreich, das sie lieben, Herr Vidal, antwortete Leutnant Armgard, und sie sind glücklich über diese Verbindung, wodurch ein Franzose in die Familie Roderich eintritt.«
    Als wir uns dem Platze näherten, mußten die Pferde im Schritt gehen, da das Vorwärtskommen der angestauten Menschenmenge halber sehr schwierig wurde.
    Von den Türmen der Kathedrale ertönte fröhliches Geläute, das der frische Ostwind herbeitrug, und nun mischte auch das Glockenspiel des Rathausturmes seine hellen Töne in die ernstere Sprache der ehernen Zungen von St. Michael.
    Es war genau zehn Uhr und fünf Minuten, als unsere beiden Wagen vor den Stufen hielten, die zu dem weit geöffneten Kirchenportal hinanführten.
    Dr. Roderich stieg zuerst aus, dann seine

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