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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Tochter, welche seinen Arm nahm. Herr Neuman führte Frau Roderich. Wir stiegen gleichfalls aus und folgten Markus durch die lange, von Neugierigen gebildete Gasse, die sich den ganzen Kirchenplatz entlang hinzog.
    Jetzt brausten mächtige Orgeltöne durch die heiligen Hallen und unter den Klängen der vollen Akkorde betrat der Hochzeitszug die Kirche.
    Markus und Myra näherten sich den zwei nebeneinanderstehenden Betstühlen vor dem Hochaltar. Hinter ihnen nahmen die Eltern und die Zeugen die ihnen bestimmten Sitze ein.
    In den Kirchenstühlen des Chores sah man den Gouverneur von Ragz, den Magistrat, die Offiziere der Garnison, den Amtmann und die Gemeindevertreter, die ersten Beamten der Administration, die Freunde der Familie, die Häupter der Industrie und des Handels. Auch den Damen, welche in glänzendem Schmucke erschienen waren, hatte man Plätze reserviert, die alle bis auf den letzten besetzt waren.
    Hinter dem Gitter des Chores (einem Meisterwerk der Schmiedekunst aus dem 13. Jahrhundert) drängte sich eine vielköpfige Menge. Diejenigen, welche sich nicht so weit nähern konnten, standen in den Seitenschiffen und bis hinaus auf die Stufen vor dem Hauptportal. Ob wohl einige der Anwesenden in diesem Augenblicke an jene Vorgänge dachten, welche die Stadt vor wenigen Tagen in Aufruhr versetzt hatten? Ob ihnen wohl der Gedanke kam, diese Vorgänge könnten sich heute in der Kathedrale wiederholen? Gewiß nicht; denn nachdem dieselben vielfach als Teufelswerk bezeichnet worden waren, konnten sie sich unmöglich in einer Kirche, an geweihter Stelle abspielen. Wird die Macht der Höllengeister nicht an der Pforte des Heiligtums gebrochen? An der rechten Seite des Chores wurde jetzt eine Bewegung bemerkbar, die Leute traten zurück, um dem Erzpriester, dem Diakon, dem Subdiakon, den Kirchendienern und den Chorknaben einen Weg zu öffnen.
    Der Erzpriester blieb vor den Stufen des Altares stehen, verbeugte sich und begann den
»Introitus«,
während die Assistenz die Verse des
»Confiteor«
sprach.
    Myra kniete auf dem Kissen ihres Betstuhles; sie hatte das Haupt gesenkt und war in Andacht versunken. Markus stand daneben und seine Blicke wichen nicht von ihr.
    Die Messe wurde mit all der Pracht zelebriert, welche die katholische Kirche bei feierlichen Gelegenheiten zu entfalten pflegt. Das Orgelspiel wechselte mit dem Vokalgesang des
»Kyrie«
ab und jetzt machte der Jubel des
»Gloria in Excelsis«
das hohe Gewölbe erzittern.
    Hie und da wurden leichte Geräusche der unruhig werdenden Menge vernehmbar. Stühle wurden gerückt, Sitze niedergeklappt und dazwischen ertönten die Schritte der Aufsichtsorgane, welche darüber wachten, daß ein Gang in der ganzen Länge des Hauptschiffes frei blieb.
    Gewöhnlich war das Innere der Kathedrale von jenem leisen Dämmerlicht erfüllt, in welchem die Seele so leicht frommen Gefühlen zugänglich wird. Durch die alten Glasfenster, auf denen die Silhouetten biblischer Persönlichkeiten in warmen Farben erscheinen, durch die schmalen Spitzbogenfenster, die aus der ersten Epoche stammen, durch die Seitenlichter dringt eine ungewisse Helle. Wenn der Himmel auch nur wenig bedeckt ist, bleiben das große Schiff und die Apsis in Dunkelheit gehüllt und diese mystische Finsternis wird noch wirkungsvoller durch die Lichtpunkte an den Enden der langen Altarkerzen.
    Heute war dem nicht so! Die klare Sonnenkugel vergoldete mild die Ostfenster der Kirche und die Rosette des Querschiffes. Ein Strahlenbündel fiel durch eine Nische der Apsis voll auf die Kanzel an einem der Pfeiler des Schiffes und schien das gequälte Gesicht des Riesen zu beleben, welcher die schwere Last auf seinen gigantischen Schultern trägt.
    Als das Glöcklein ertönte, erhoben sich die Andächtigen; aber dem momentanen Geräusche folgte augenblicklich vollkommene Stille, als der Diakon das Evangelium des heiligen Matthias intonierte.
    Darauf wandte sich der Erzpriester mit einer kurzen Ansprache an das Brautpaar. Er redete leise, mit der schwachen Stimme eines Greises, dessen Haupt von weißen Haaren umrahmt ist. Seine Worte waren einfach und ungesucht und mußten Myras Herz tief rühren. Er lobte ihre häuslichen Tugenden. die ganze Familie Roderich, ihre Wohltätigkeit für die Armen und ihre unerschöpfliche Güte. Er segnete diese Verbindung eines Franzosen mit einer Ungarin und rief den Schutz des Himmels auf das junge Paar herab.
    Nach beendeter Ansprache wandte sich der Erzpriester wieder dem Altare zu

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