Will Gallows – Der Schrei des Donnerdrachen (German Edition)
über das Sheriffbüro flogen, dachte ich an den ehemaligen Amtsinhaber, Sheriff Slugmarsh. Er hatte vor ungefähr anderthalb Jahren meinen Pa getötet, seinen eigenen Hilfssheriff. Aber ich hatte seine abscheulichen Taten aufgedeckt, und jetzt lag er, nachdem er auf dem Dach eines Eisenbahnwaggons einen Unfall erlitten hatte, tot am Fuß des Kaktusfelsens. Hoffentlich wurde das Sheriffbüro beim nächsten Beben plattgemacht. Zum Teil war ich wirklich froh, dass ich Oretown und all diesen Erinnerungen entkommen war.
Wir schwebten auf die Felskante zu, wo sich unsere Wege in der Regel trennten. Ich rief: »Vielen Dank noch mal, Jez, dass du mich zu Grandma begleitet hast.«
»Sehr gerne. Ich wünschte bloß, wir könnten sie irgendwie überreden, von dort wegzugehen.«
»Wir müssen es einfach immer wieder probieren«, sagte ich. »Hast du vielleicht Lust, noch ein Stück mitzufliegen? Ich will noch kurz in Gung-Choux Village vorbeischauen. Vielleicht kann Onkel Wilder Wolf mir noch ein bisschen mehr Elfenzauber beibringen.«
»Kann leider nicht, ich muss zurück ins Fort. Obwohl ich dir wahnsinnig gerne beim Zaubern zugesehen hätte.«
Onkel Wilder Wolf war Grandmas Bruder und darum, genau genommen, mein Großonkel. Außerdem war er der Medizinmann von Gung-Choux Village. Gleich nach dem Umzug auf den östlichen Arm habe ich ihn immer wieder angebettelt, dass er mir den Elfenzauber beibringen soll. Nach einer Weile hat er dann nachgegeben. Und jetzt bekam ich von Tyrone einmal pro Woche frei, damit ich meinen Onkel besuchen konnte. Yenene hat immer gesagt, dass ich nicht zaubern kann, weil ich ja nur ein halber Elf bin. Aber dann habe ich während der Jagd auf den Mörder meines Vaters festgestellt, dass ich doch ein bisschen zaubern kann und dass Grandma nur versucht hat, mich vor der dunklen Seite des Elfenzaubers zu beschützen. Der Elfenzauber kann eine Macht des Guten sein, aber er hat auch eine düstere Seite, über die ich immer noch nicht viel weiß. Nur, dass der Elfenzauber, wenn er in die falschen Hände gerät, tödlich sein kann.
Jetzt kam in der Ferne die Eisenbahnbrücke in Sicht. Mir fiel etwas ein. »Sag mal, Jez, willst du noch was Tolles sehen, bevor du abhaust? Dauert auch nicht lange.«
»Na, klar!«
»Prima. Dann komm mit.«
Wir flogen an der Brücke vorbei. Aus der Tunnelöffnung ertönte ein schrilles Pfeifen.
»Der Klippenflitzer kommt!«, rief ich.
Die Dampflokomotive, die den Zug nach Mid-Rock City anführte, kam wie ein furchterregender, feuerspuckender Drache aus der Tunnelröhre gedonnert. Dichte Rauchwolken quollen aus dem Schornstein, während die Eisenräder sich wie Adlerkrallen an die Schienen auf der Brücke klammerten. Die besorgten Gesichter der Fahrgäste waren deutlich zu erkennen.
Der Lokomotivführer fuhr mit Volldampf, und der Flitzer wurde immer schneller – niemand wollte auch nur eine Sekunde länger als unbedingt nötig auf dem angeschlagenen westlichen Arm verbringen. Es war mittlerweile ein sehr gefährlicher Ort.
Ich lenkte Moonshine ein Stückchen tiefer, ziemlich dicht an die Kante des Mittelstamms. Entlang des äußeren Klippenrandes wurden gerade glänzende neue Eisenbahnschienen verlegt.
»Das wollte ich dir zeigen.«
Es war das größte Bauvorhaben, das ich je gesehen hatte. Ein ganzes Team von Eisenbahningenieuren baumelte, mit Klettergurten gesichert, an langen Seilen über dem Klippenrand. Manche hielten Eisenträger in den Händen, während andere diese Eisenträger in der Felswand des Mittelstamms befestigten. Die Sonne brannte vom Himmel, und es war sehr heiß, was die Arbeit noch schwerer machte, als sie ohnehin schon war. Aber trotzdem … an diesem Projekt arbeiteten Menschen, Elfen, Zwerge und Trolle unerschrocken und gemeinsam zusammen.
»Wow! Was ist denn das?«, wollte Jez wissen.
»Die Eisenbahngesellschaft plant schon für die Zukunft. Wenn der westliche Arm einstürzt, dann stürzen ja auch die Schienen ab. Dann ist die Verbindung nach Deadrock und in die Westwälder unterbrochen. Darum wird hier ein ganz neuer Gleisabschnitt gebaut.«
»Aber wenn der westliche Arm einstürzt, reißt er dann nicht auch die neuen Gleise ab?«
»Wohl nicht. Sie glauben, dass der Arm nach außen abbricht, so ungefähr wie ein Ast an einem Baum.«
»Also, ganz ehrlich, mir müssten sie schon eine ziemliche Menge Geld bieten, damit ich diesen Job machen würde«, meinte Jez, während sie einen Zwerg beobachtete, der an einem Seil baumelte.
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