Will Trent 01 - Verstummt
Frage an der Tafel nicht wusste.
»Nun gut«, antwortete Eleanor. »Ich nahm an, dass Jasmine in ihrem Zimmer sitzt und Hausaufgaben macht. Als ich sie zum Abendessen rief, kam sie nicht. Ich schaute in ihr Zimmer, und sie war nicht da.«
»Wann war das?«
»Gegen fünf Uhr.«
Will blickte auf seine Armbanduhr, tatsächlich aber las er die genaue Zeit von der Digitalanzeige am Fernseher ab. »Dann ist sie Ihres Wissens nach also seit etwa fünf Stunden verschwunden?«
»Werden Sie mir jetzt erklären, dass ich noch einen ganzen Tag warten muss, bevor Sie etwas unternehmen?«
»Ich wäre nicht den ganzen Weg hierhergefahren, nur um Ihnen das zu sagen, Ms. Allison. Dann hätte ich Sie einfach angerufen.«
»Sie glauben, es geht hier nur um irgendein schwarzes Mädchen, das mit einem Mann durchgebrannt ist, aber ich kann Ihnen sagen, ich kenne dieses Mädchen.«
»Sie war heute nicht in der Schule«, bemerkte Will.
Die alte Frau senkte den Kopf. Will sah, dass ihre Hände wie Klauen im Schoss lagen; die Arthritis hatte sie zu nutzlosen Klumpen verformt. »Sie
wurde vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie einem Lehrer eine freche Antwort gegeben hatte.«
»Cedric auch?«
»Das wird langsam feindselig«, erklärte sie, redete aber weiter. »Ich kann mich nicht mehr sehr gut bewegen, vor allem, seit ich mein Vioxx nicht mehr bekomme. Ihre Mutter sitzt seit mehr als der Hälfte von Cedrics Leben im Gefängnis. Sie ist heroinsüchtig, wie Aleesha Monroe es war. Der einzige Unterschied besteht darin, dass meine Glory erwischt wurde.«
Will wusste, dass er sie besser nicht unterbrach.
»Ich war wirklich streng mit Glory. Bin nächtelang aufgeblieben und ihr gefolgt, wann immer sie das Haus verließ. Ich war die Haut meiner Glory, so dicht hinter ihr bin ich die ganze Zeit geblieben. Sie hasste jede Minute davon - und jetzt hasst sie mich immer noch -, aber ich war ihre Mutter, und genau das wollte ich tun. Mit den beiden bin ich genauso.« Unter Schwierigkeiten hob sie die Hand und deutete zur geschlossenen Schlafzimmertür. Will sah im Spalt unter der Tür einen sich bewegenden Schatten und vermutete, dass Cedric lauschte.
Eleanor fuhr fort: »Glory hat die beiden ziemlich vernachlässigt. Es war ihr egal, was sie trieben, solange sie keine Schwierigkeiten bekam und sich weiter ihre Nadeln in den Arm stechen konnte.« Die Frau seufzte, wie in Erinnerungen versunken. »Jasmine ist so wild, wie Glory es war, und ich werde ihr einfach nicht mehr Herr. Eben habe ich fünf Minuten gebraucht, um bis zur Wohnungstür zu kommen, damit ich nachschauen konnte, warum Cedric so aufgeregt war.«
Will wollte sagen, dass es ihm leidtue, aber er wusste, dass sie ihn korrigieren und daran erinnern würde, dass er nichts könne für ihren Zustand, für die elende Art, wie sie offensichtlich ihr Leben verbracht und trotzdem immer versucht hatte, das Richtige zu tun, obwohl alles um sie herum zusammenbrach.
Eleanor erzählte weiter: »Cedric war noch ein Baby, als Glory das Sorgerecht entzogen wurde.« Sie beugte sich vor, obwohl es ihr schwerfiel. »Er ist ein kluger Junge, Mr. Trent. Ein kluger Junge mit einer Zukunft, wenn ich ihn so lange aus diesem Saustall hier raushalten kann, bis er erwachsen ist.« Sie presste die Lippen zusammen. »Da gibt es etwas, das er mir nicht sagt. Er liebt seine Schwester, und sie liebt ihn - liebt ihn wie eine Mutter, denn das musste sie für ihn sein, wenn Glory damit beschäftigt war, sich diese Scheiße in ihre Venen zu jagen.« Sie hielt kurz inne. »Ich glaube, ich habe mehr Einfluss auf
ihn. Und man kann nicht leugnen, dass Jasmine ihn liebt. Sie will nicht, dass er in dieses Leben hier hineingerät mit all den Schlägern und Verbrechern und Ganoven. Sie selbst geht in diese Richtung, aber sie weiß auch, dass ihr kleiner Bruder etwas Besseres schaffen kann.«
»Ist sie zuvor schon mal davongelaufen?«, fragte Will.
»Zweimal, aber immer, weil es einen Streit gegeben hatte. Gestern haben wir nicht gestritten. Zur Abwechslung haben wir mal die ganze Woche nicht gestritten. Jasmine war nicht wütend auf mich, zumindest nicht mehr als jeder Teenager auf jemanden ist, der das Sagen hat.«
»Hat sie einen Jungen als Freund?«
»Einen Jungen? Er ist fünfzehn Jahre älter als sie.«
»Wie heißt er?«
»Luther Morrison. Er wohnt an der Basil Avenue, ungefähr drei Meilen von hier entfernt, in den Manderley Arms. Ich habe ihn schon angerufen. Er sagte, dass sie nicht bei ihm ist.« Sie
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