Will Trent 01 - Verstummt
erläuterte: »Jedes Mal, wenn sie weggelaufen ist, habe ich ihn angerufen. Und beide Male sagte er mir, dass sie bei ihm ist. Luther tut so, als würde er glauben, dass Jasmine siebzehn ist, aber er weiß so sicher, wie alt die Kleine wirklich ist, wie ich hier sitze, und er tut alles, was ich sage, damit ich ihm nicht die Polizei auf den Hals hetze.«
Will musste nun einfach fragen: »Warum haben Sie ihm nicht die Polizei auf den Hals gehetzt? Sie ist vierzehn, er fast dreißig. Das ist Verführung Minderjähriger.«
»Weil ich bei ihrer Mutter gelernt habe, dass man ein Mädchen, das darauf aus ist, sich selbst zu zerstören, nicht davon abhalten kann. Wenn ich den verhaften lasse, geht sie einfach zum Nächsten, und der wird dann noch schlimmer sein als dieser Morrison, falls das möglich ist.«
»Gran?«, fragte Cedric. Er war noch im Schlafzimmer und lugte zur Tür herein. »Ich bin fertig mit Aufräumen.
»Komm her, Kind.« Sie streckte den Arm nach ihm aus, und er kam zu ihr. Dann sagte sie zu Will: »Als ich merkte, dass Jasmine nicht da ist, habe ich sofort die Polizei angerufen. Ich bin mir sicher, Sie wissen, wie sie reagiert haben.«
»Sie haben Ihnen gesagt, Sie sollen erst mal vierundzwanzig Stunden warten, vielleicht auch achtundvierzig, wenn sie zuvor schon einmal weggelaufen ist.«
»Genau.«
Will wandte sich nun direkt an Cedric. »Du hast ziemlich aufgeregt geklungen am Telefon. Kannst du mir sagen, warum?«
Cedric schaute erst seine Großmutter an, anschließend Will und zuckte dann nur mit den Schultern.
Die alte Frau richtete sich in ihrem Sessel auf und griff in die Vordertasche ihres Hauskleids. »Bring Mr. Trent hinaus und schau für mich in den Briefkasten. Mr. Trent?« Will hatte Mühe, sich zu erheben. »Vielen Dank für Ihre Anteilnahme.«
»Bitte bemühen Sie sich nicht«, sagte er, als er sah, dass sie aufzustehen versuchte. »Ich halte Sie auf dem Laufenden.« Er streckte ihr die Hand entgegen und dachte erst im letzten Augenblick daran, dass ein Händedruck wegen ihrer Arthritis wohl schmerzhaft sein dürfte. Doch sie nahm seine Hand, und der feste Druck überraschte ihn. »Bitte«, flehte sie. »Bitte finden Sie sie, Mr. Trent.«
»Ja, Ma'am«, sagte er, denn er wusste, wie stolz sie war und wie schwer es ihr fiel, ihn um Hilfe bitten zu müssen.
Er folgte Cedric die Treppen hinunter und hinaus auf den Parkplatz. Die Laternen tauchten alles in einen gelben Schein, und Will fiel ein, dass es nur wenige Stunden nach der Zeit war, zu der Aleesha Monroe am Sonntagabend ermordet worden war. Cedric ging zu dem Rasenstück mit den Briefkästen, wo Jasmine ihn am Vormittag zu Boden geworfen hatte.
Will sah zu, wie der Junge den Schlüssel in das Schloss steckte, und wartete, bis er die Post herausgeholt hatte. Erst dann sagte er: »Das ist ernst, Cedric.«
»Ich weiß.«
»Du musst mir sagen, was du über Jasmine weißt. Warum hat sie dir gesagt, dass du nicht mit den Bullen reden darfst?«
»Sie hat gesagt, dass sie alle böse sind.«
Das war ein Gefühl, das so ziemlich jeder in einem Fünf-Meilen-Radius teilte. »Erzähl mir, was am Sonntag passiert ist.«
»Nichts.«
»Diesmal wird das nicht funktionieren, Cedric. Jasmine ist verschwunden, und du hast gehört, was deine Granny gesagt hat. Ich weiß, dass du an der Tür gelauscht hast. Ich habe deinen Schatten unter der Tür gesehen.«
Cedric leckte sich die Lippen und blätterte in der Post.
Will ging in die Knie und legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Erzähl's mir.«
»Da war ein Mann«, sagte Cedric schließlich, und jetzt, da sein Argwohn verschwunden war, verbesserte sich auch seine Grammatik. »Er hat Jazz Geld gegeben, damit sie einen Anruf macht. Das ist alles.«
»Was für einen Anruf?«
»Bei der Polizei. Um zu sagen, dass Leesha verletzt ist.«
Will drehte sich zu der Telefonzelle um. Sie war dunkel, die Deckenbeleuchtung offensichtlich kaputt geschlagen. »Hat er ihr gesagt, sie soll aus der Telefonzelle anrufen?«
Cedric nickte. »War völliger Blödsinn. Sie hätte ihr Handy benutzen können. Jeder weiß doch, dass man ein Handy nicht aufspüren kann.«
»Er hat sie bezahlt?«, fragte Will.
»Zwanzig Dollar«, gab Cedric zu. »Und dann hat er ihr fürs Telefon ein Zehncentstück gegeben.«
Will ließ die Hände sinken und hockte sich auf die Hacken. »Was kostet ein Anruf von diesem Apparat, ungefähr fünfzig Cent?«
»Ja«, antwortete Cedric. »Jazz hat ihm gesagt, dass er sich die
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