Will Trent 01 - Verstummt
ich in der Zentrale kenne. Mal sehen, ob ich ihnen ein bisschen Feuer unterm Hintern machen kann. Vielleicht hören sie eher auf mich als auf einen Schwanzlutscher vom GBl.«
»Vielen Dank.«
Will klappte das Handy zu und schaute auf das Display. Zeit, Aleesha Monroes Mutter einen Besuch abzustatten.
Will fuhr selten mit seinem Auto zur Arbeit, außer wenn er wusste, dass er den ganzen Tag allein sein würde. Meist benutzte er sein Motorrad, so dass sein jeweiliger Partner an diesem Tag Chauffeur spielen musste. Wenn er nicht zu seinen gewohnten Zielen fuhr - dem Lebensmittelladen, dem kubanischen Restaurant in der Nachbarschaft, dem Kino -, war es praktisch eine Einladung zu einer Irrfahrt, wenn man ihn hinters Steuer ließ. Irgendwann konnte er zwar Straßenschilder lesen, aber nur auf Kosten der Autofahrer hinter ihm. Karten mit ihrer winzigen, unregelmäßig über die Seite verteilten Schrift hätten für ihn ebenso gut in Suaheli sein können, und wenn er nervös wurde, was oft passierte, wenn man hinter ihm hupte, vergaß Will sehr schnell, wo rechts und links war.
Die Fahrt zu Miriam Monroes Haus stellte eine Übung in Geduld dar. Will ignorierte die wütenden Blicke und die Gemeinheiten, die man ihm zurief, während er langsam die DeKalb Avenue entlangfuhr. Die Monroes wohnten in Decatur in der Nähe des Agnes Scott College, einer teuren Gegend mit alten viktorianischen und anderen Häusern, von denen die meisten Leute nur träumen konnten. Zum Glück schien das Viertel nicht sehr groß zu sein, und er war zuversichtlich, dass er mit ein bisschen Glück das Haus noch vor Sonnenuntergang finden würde.
Will trat auf die Bremse, als er an der Straßengabelung über den Bahnübergang fuhr und in die College Avenue einbog. Er versuchte, es nicht
persönlich zu nehmen, als ihn eine dürre alte Frau in einem taubenblauen Cadillac überholte und wütend die Faust ballte.
Auch wenn es ihn viel Mühe kostete, schaffte Will es, nicht mehr an Angie zu denken. Er musste den Fall noch einmal von Anfang an durchgehen, um nachzuprüfen, ob er etwas übersehen hatte. Es musste irgendein Detail, irgendeinen Hinweis geben, den er einfach nicht als solchen erkannte.
Paisley Avenue zweiunddreißig war ein prächtiges altes Wohnhaus mit umlaufender Veranda und einer riesigen Trauerweide, deren Geäst den vorderen Garten beschattete. Das Haus bestand unten aus sandgestrahltem Backstein und oben aus dunkel lackierten Schindeln. Das Ziegeldach war mit Kiefernnadeln bedeckt, und Will stellte sich vor, dass die Monroes bei den vielen Bäumen im Garten einen beständigen Kampf gegen verstopfte Regenrinnen zu führen hatten.
Er stellte sein Auto am Straßenrand ab, starrte konzentriert den Briefkasten an und konnte schließlich den Namen MONROE in dicken schwarzen Blockbuchstaben entziffern. Trotzdem verglich er noch einmal die Hausnummer mit der Adresse auf dem Umschlag.
Die Türglocke war eine von der altmodischen Sorte, eine wirkliche Glocke, deren Auslöser sich genau in der Mitte der schweren Eichentür befand. Will drehte an dem wie eine Frackfliege geformten Metallteil und hörte das schrille Bimmeln durchs Haus hallen.
Schritte klackerten über Fliesen, die einer Frau und eines Hundes.
»Hallo?«
Will nahm an, dass ein wachsames Auge an das Guckloch gedrückt wurde. Das Viertel war zwar ein gutbürgerliches, lag aber immer noch so nahe an Atlanta, dass die Bewohner Vorsicht walten ließen, bevor sie einem Fremden die Tür öffneten.
»Ich bin Will Trent vom Georgia Bureau of Investigation«, sagte Will und hob seinen Ausweis in die Höhe. »Ich möchte Miriam Monroe sprechen.«
Ein Zögern, vielleicht ein Seufzen, dann wurde der Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet.
Miriam Monroe sah genauso aus wie ihre Tochter. Zumindest hätte ihre Tochter so aussehen können, wenn sie ein anderes Leben geführt hätte. Aleesha war unterernährt, fast skelettal gewesen, ihre Mutter hingegen war eine kräftige Frau mit langen, lockigen Haaren und einer offenen Art. Sie hatte gerötete Wangen und ein Strahlen in den Augen, und obwohl sie Will fragend
ansah und mit skeptischer Miene darauf wartete, dass er etwas sagte, schien sie doch eine Frau zu sein, die im Leben das Positive suchte.
Er schaute hinunter zu dem schwarzen Pudel, der neben ihr stand, und dann wieder hoch ins Gesicht der Frau. »Ich bin wegen Ihrer Tochter hier.«
Sie presste die Hand an die Brust und hielt sich an der Tür fest, um nicht das
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