Will Trent 01 - Verstummt
wird Sie nicht überraschen zu erfahren, dass Sie nicht der erste Polizist sind, der an unsere Tür klopft.« Sie lächelte, wirkte nun aber noch ein wenig zurückhaltender. »Wenn Sie glauben, dass wir Sie zu ihr führen können, muss ich Sie leider enttäuschen.«
Trotz oder vielleicht auch wegen der Gelassenheit dieser Frau würde die Sache nicht einfach werden, das wusste Will sehr genau. »Wo befindet sich Ihr Ehemann jetzt?«
»Er hält gerade eine Vorlesung in New York«, erwiderte sie. »Er ist Spezialist für Frauenkrankheiten.«
Will kritzelte etwas auf seinen Block. »Verstehe.«
»Ich vermute, Sie betrachten es als Ironie des Schicksal, dass ein Mann, der sein Leben der Aufgabe gewidmet hat, Frauen zu helfen, eine Tochter hat, die eine Prostituierte und Drogenabhängige ist.«
»Ja«, gab Will zu. »Das tue ich.«
Sie lehnte sich zurück, als wäre sie erleichtert, dass das geklärt war. »Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand, um unserer Tochter zu helfen.«
»Da bin ich mir sicher.«
»Sind sie das wirklich?«, fragte sie, als wollte sie ihn aus der Reserve locken. »Wir haben Tausende von Dollar für Behandlungen, Familientherapie und Einzeltherapie ausgegeben. Wir haben alles getan, was ihr unserer Ansicht nach helfen konnte.« Sie faltete die Hände im Schoß. »Aber es war ganz einfach so, dass Aleesha keine Hilfe wollte. Sie fing an wegzurennen, bevor sie dreizehn wurde.«
Will wiederholte etwas, das Angie über das Mädchen gesagt hatte. »Jemandem, der sich nicht helfen lassen will, kann man nicht helfen.«
»Das stimmt«, bestätigte die Mutter. »Haben Sie Kinder?«
»Nein, Ma'am. Ich habe keine Kinder.«
»Es ist das wunderbarste Geschenk, das Gott uns gemacht hat, dass wir Kinder in die Welt setzen können.« Sie streckte die Arme aus, als würde sie ein Baby wiegen. »Wenn man sie zum ersten Mal in den Armen hält, sind sie einem wertvoller als Gold. Jeder Atemzug, den man macht, ist nur noch für das Kind. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
Will nickte, doch seine Brust fühlte sich so leer an, wie ihre Arme es waren. Falls seine Mutter ihn in den Armen gehalten hatte, war es ihr offensichtlich nicht schwergefallen, ihn kurz darauf wegzugeben.
Miriam fuhr fort: »Aleesha hatte sich mit diesem Jungen eingelassen.« Er sah, dass sie mit den Tränen kämpfte. »Ich wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, wie auch Dr. Monroe. Doch wir kannten beide den Wert einer guten Ausbildung und arbeiteten sehr hart, um die Chancen zu nutzen, die andere erkämpft hatten und für die sie sogar gestorben waren.«
Er versuchte, ihr ein Kompliment zu machen. »Und Sie hatten offensichtlich Erfolg damit.«
Sie warf ihm einen Blick zu, der besagte, sie beide wüssten doch, dass materielle Dinge kaum ein Maßstab des Erfolgs seien. »Wir dachten, wenn unsere Kinder hier in diesem Viertel aufwüchsen, wäre das ein Schutz für sie. Decatur war schon immer eine kleine Oase.«
»Drogen können sich überall einschleichen.«
»Da dürften Sie recht haben«, sagte sie. »Wir wollten so viel mehr für sie. Man lebt durch seine Kinder. Man leidet für sie, erträgt Schmerzen für sie, atmet für sie, wenn man kann.« Dann erzählte sie Will: »Sie brannte mit irgendeinem Mann durch, den sie im Behandlungszentrum kennengelernt hatte. Ein paar Wochen später wurde sie wegen einer Drogengeschichte verhaftet. Aleesha kam ins Gefängnis, und der Mann verschwand, hatte sich wahrscheinlich irgendein anderes dummes Mädchen geangelt.«
Als Will beim GBl angefangen hatte, war er sehr erstaunt gewesen, als er herausfand, dass viele Frauen im Gefängnis landeten, weil ihre Freunde sie als Drogenkuriere missbrauchten, indem sie ihnen einredeten, die Polizei gehe mit dem schönen Geschlecht nachsichtiger um. Die Gefängnisse waren voll von jungen Mädchen, die glaubten, sie seien verliebt.
Miriam unterbrach seine Gedanken. »Dr. Monroe und ich begriffen erst ganz allmählich, dass Drogensucht eine tödliche Krankheit ist. Sie ist ein Krebs, der Familien bei lebendigem Leib auffrisst.« Sie stand auf und ging zum Flügel. »Man kommt an einen Punkt, wo man sich fragt: Was tut das dem Rest meiner Familie an? Welchen Schaden füge ich meinen anderen Kindern zu, indem ich meine ganze Kraft nur auf die Rettung dieses einen Kindes konzentrierte, das gar nicht gerettet werden will?«
Auf dem Flügel standen gerahmte Fotografien, und sie hielt abwechselnd die Hand über jede einzelne. »Aleesha war
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