Will Trent 01 - Verstummt
Waffe in der einen Hand, und mit der anderen drehte er die Dusche auf. Angie versuchte aufzustehen, doch ihre Beine rutschten unter ihr weg, während ihr kaltes Wasser ins Gesicht prasselte.
»Zieh deine Shorts aus«, befahl Michael. »Zieh sie aus.«
Auch wenn Angie es hätte tun wollen, mit hinter dem Rücken gefesselten Händen konnte sie überhaupt nichts machen. Auch Michael schien das zu begreifen. Er riss den obersten Knopf der abgeschnittenen Jeans auf und zog den Reißverschluss herunter.
»Die Unterwäsche auch«, befahl er. »Sofort.«
Ihre Finger fühlten sich taub an, weil die Durchblutung unterbrochen war. Trotzdem schaffte sie es, die Daumen in den Bund zu stecken und die Shorts nach unten zu schieben. Sie trat sie mit den Füßen weg.
»Was hast du mit dem kleinen Mädchen gemacht?«, fragte sie, während sie den Slip abstreifte. »Was hast du mit Jasmine gemacht?«
»Keine Sorge.« Michael lächelte, wie über einen ganz privaten Witz. »Die wird nicht reden.«
Angie schnellte noch einmal vor und rammte ihm den Kopf in den Bauch. Michael stolperte nach hinten in den Gang, die Waffe schlitterte über den feuchten Boden. In einer schnellen Bewegung packte er Angie und schleuderte sie durchs Zimmer. Sie landete unsanft, obwohl sie versuchte, mit den gefesselten Händen den Sturz hinten abzufedern. Ihre rechte Hand knickte um, als ihr ganzes Gewicht auf das Handgelenk drückte. Sie hörte das Krachen in dem Augenblick, als ein Schmerz wie ein Blitz durch ihren Arm zuckte.
»Steh auf!«, befahl Michael.
Ihre Hand pochte, der ganze Arm kribbelte. Sie drehte sich schluchzend zur Seite. O Gott, sie hatte sich das Handgelenk gebrochen. Was sollte sie jetzt tun? Wie sollte sie hier rauskommen?
Im Zimmer nebenan vernahm sie Geräusche. Michael war verschwunden. Wo befand sich das Mädchen? Was machte er mit Jasmine?
Angie drückte das Gesicht an den Boden und kam mühsam zuerst auf die Knie und dann auf die Füße. Sie lehnte sich an die Wand, denn in ihrem Kopf drehte sich alles, und ihr wurde schwarz vor Augen. Sie atmete tief durch, konzentrierte sich und löste sich wieder von der Wand. Ihr nasser Slip hing ihr an den Knöcheln. Sie schleuderte ihn weg, während sie ins angrenzende Zimmer humpelte.
Michael saß auf der Couch, ein Bein über dem anderen, der Fuß wippend. Die Glock lag neben ihm auf dem Kissen. Er wusste, dass sie es nicht rechtzeitig bis zur Waffe schaffte.
»Setz dich«, sagte er und deutete auf den Schaukelstuhl vor dem offenen Kamin. Behutsam setzte sie sich auf die Stuhlkante, um nicht nach hinten zu kippen.
»Was wolltest du eigentlich in meinem Haus?«
Angie schaute sich in dem Zimmer um. Es war gut drei mal sechs Meter groß, ein Wohnzimmer mit einer kleinen Küche im hinteren Teil. Sie dachte an die
Berge draußen, die absolute Abgeschiedenheit dieser Hütte. Er hat recht gehabt: Kein Mensch würde sie schreien hören.
»Was hast du vor?«, fragte sie.
Er hatte dieses Grinsen im Gesicht, dieses Grinsen, das sie auch schon auf Kens Party gesehen und für Flirten gehalten hatte. »Was meinst du denn, was ich vorhabe?«
Angie konnte nichts gegen das Zittern ihrer Unterlippe tun. Ihre Hand wurde taub, ein dumpfer Schmerz pochte im Gelenk. Der Strick war nass von der Dusche, und das Wasser machte ihn irgendwie dicker und schwerer. Die Haut fühlte sich an wie weggebrannt.
Ihr Blick wanderte zu der Waffe auf der Couch.
»Sei doch nicht blöd.«
Angie räusperte sich, ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie Watte geschluckt. »John hat mir alles erzählt«, sagte sie und fragte sich, wie weit sie es treiben konnte, bevor Michael sie fertig machte. Kein Mensch wusste, wo sie sich aufhielt. Will verhörte wahrscheinlich noch immer John Shelley und versuchte, die Wahrheit aus ihm herauszubekommen. Wenn John im Gefängnis etwas gelernt hatte, dann hielt er den Mund. Es würde Stunden, vielleicht Tage dauern, bis Will überhaupt auf den Gedanken kam, nach ihr zu suchen, und wenn er es dann endlich tat, konnte er unmöglich herausfinden, dass sie sich in dieser kleinen Hütte in den Bergen befand.
Michael fragte: »Was hat John dir erzählt?«
»Das mit Mary Alice«, antwortete Angie und hoffte inständig, dass sie sich korrekt an den Namen des Mädchens erinnerte. »Er hat mir erzählt, was wirklich passiert ist.«
Michael lachte, aber er lächelte nicht. »John weiß doch gar nicht, was wirklich passiert ist.«
»Er hat es rausgekriegt.«
»John ist zu blöd, um
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