Will Trent 01 - Verstummt
geraten, und jedes Mal, wenn das Auto an einer Ampel hielt, konnte sie die Angst nicht bezwingen, die in ihrer Brust brannte wie Säure.
Das Auto wurde wieder langsamer, und sie verkrampfte sich innerlich, als sie die Reifen über einen Kiesweg knirschen hörte. Sie waren jetzt also auf keiner geteerten Straße mehr. Angie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon im Kofferraum lag. Sie hatte nicht gesehen, wer ihr auf den Hinterkopf geschlagen hatte, aber sie wusste, dass es Michael war. Das Lachen klang ihr noch immer in den Ohren. Es war das gleiche Lachen, das sie auch gehört hatte, als er sie in der Nacht von Kens Party auf den Rücksitz ihres Autos gestoßen hatte.
Das Mädchen. Da war doch ein Mädchen an den Pooltisch gefesselt gewesen. Der kleine Körper voller Blut und blauer Flecken. Jasmine. Es musste einfach Jasmine sein.
Das Auto rollte langsam aus. Angie zählte die Sekunden. Bei zwölf ging eine Tür auf. Das Auto schwankte, als Gewicht sich aus dem Fahrersitz hob. Die Tür wurde zugeschlagen. Schritte knirschten über Kies. Die Beifahrertür wurde geöffnet und fiel mit lautem Knall wieder zu, als hätte man dagegen getreten.
Zwanzig Sekunden. Fünfzig. Hundert. Angie hatte schon aufgehört zu zählen, als sie den Schlüssel im Kofferraumschloss kratzen hörte.
Sonnenlicht stach ihr in die Augen. Angie kniff sie vor Schmerz zusammen. Die frische Luft war himmlisch, und sie riss den Mund um den Knebel herum weit auf und blähte die Nasenlöcher, um möglichst viel davon einzuatmen.
Ein Schatten schob sich vor die Sonne. Langsam öffnete sie die Augen. Michael grinste auf sie herab, und der Kratzer an der Wange, den Jasmine ihm drei Tage zuvor zugefügt hatte, sah aus wie Kriegsbemalung.
»Schönes Nickerchen gehabt?«
Sie stemmte sich gegen die Fesseln.
»Beruhige dich«, sagte er nur.
Angie bellte ihm um den Knebel herum ein »Leck mich« entgegen.
Er zog ein langes Jagdmesser aus der Scheide und sagte warnend: »Mach nichts Unüberlegtes«, während er den Strick hinter ihrem Rücken durchschnitt.
Sie stöhnte erleichtert auf, als sie die Beine so weit streckte, wie es ging. Die Hände waren noch immer hinter dem Rücken gefesselt, aber wenigstens konnte sie sich bewegen.
»Raus da.«
Angie setzte sich mühsam auf. Michael steckte das Messer wieder in die Scheide und zog seine Dienstwaffe. Er richtete sie auf ihren Kopf, und sie erstarrte.
»Langsam«, befahl er. »Und glaube keine Sekunde, dass ich dich nicht erschießen würde.«
Der Strick schnitt ihr in die Handgelenke, als sie die Handflächen auf den Boden des Kofferraums presste. Nach mehreren Versuchen schaffte sie es, sich in die Höhe zu stemmen. Sie schwang die Beine über den Rand des offenen
Kofferraums. Stöhnend quälte sie sich heraus, schwankte, als ihre Füße den Boden berührten, schaffte es aber, auf den Beinen zu bleiben.
Sie richtete sich auf, schaute sich um, versuchte, sich zu orientieren.
»Das war ziemlich beeindruckend«, sagte er. »Hatte ganz vergessen, wie gelenkig du bist.«
Am liebsten hätte sie ihn mit bloßen Händen erwürgt.
»Schau dich um«, sagte er. Sie sah wogende Hügel und schneebedeckte Berge hinter einer schlicht wirkenden Hütte. »Hier kannst du schreien, so viel du willst, hier wird dich keiner hören.«
Er zog den Knebel aus ihrem Mund, und sie sog gierig die Luft ein. Ihre Nase fühlte sich gebrochen an, und als sie auf den Boden spuckte, mischte sich ein Blutklumpen unter die Reste ihres Frühstücks.
Sie schrie wie eine Furie.
Michael stand einfach nur da, während sie sich vor Anstrengung krümmte und ihr Atem rasselte. Sie schrie, bis sie kein Luft mehr hatte und nichts mehr im Kopf außer dem Geräusch ihres eigenen Schreiens.
Er fragte: »Fertig?«
Sie sprang ihn an, und er stieß ihr sein Knie in die Brust. Sie ging zu Boden, und Kies stach ihr schmerzhaft in die nackten Beine.
Er drückte ihr die Glock an die Schläfe und brachte sein Gesicht ganz dicht an ihres. »Vergiss eins nicht, Angie, du bist hier nur die zweite Geige.«
Jasmine. »Wo ist sie?«
Er riss sie an den Haaren hoch und schleifte sie zur Hütte. Angie wehrte sich gegen ihn und zerrte am Strick, während sie gegen die Stufen stieß. »Lass mich gehen!«, schrie sie. »Lass mich gehen, du Arschloch!«
Er öffnete die Hüttentür und stieß sie hinein. »Rein da!« Er packte sie am Arm und warf sie ins Bad.
Sie fiel in die Wanne, der Kopf knallte an die Plastikwand. Michael hielt noch immer die
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