Will Trent 01 - Verstummt
Kanten in die Finger schnitten.
Angie hielt den Atem an und lauschte auf Geräusche von Michael. O Gott, solche Schmerzen hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gehabt. Sie hielt es nicht aus, konnte das Gefühl nicht ertragen, wenn Fleisch vom Knochen geschnitten wurde. Sei beugte sich vor, drückte die Stirn an den Boden und weinte.
»Will«, flüsterte sie. Sie konnte nicht zu Gott beten, nicht nach allem, was sie getan hatte, deshalb betete sie zu Will. »Ich komme hier raus«, versprach sie ihm. »Ich komme hier raus und...« Sie sagte es nicht, aber sie wusste es in ihrem Herzen. Sie würde Will endgültig verlassen. Sie würde ihn endlich entkommen lassen.
Über sich hörte sie Schritte. Angie richtete sich wieder auf, und ihre Hände tasteten nach der Scherbe. Hektisch bearbeitete sie den Strick. Die Angst betäubte ihren Schmerz.
»Angie?«, rief Michael. Er stand auf der anderen Seite der verschlossenen Tür. »Antworte mir. Ich weiß, dass du mich hörst.«
Sie spannte das Seil straff und renkte sich dabei fast die Schultern aus, so verzweifelt wollte sie sich befreien. »Leck mich, du Arschloch.«
»Geh von der Treppe weg, Angie. Ich mache jetzt die Tür auf, und ich habe meine Waffe direkt auf dich gerichtet.«
Sie antwortete nicht, konnte es nicht. Schneller und immer schneller zersäbelte sie den Strick am Glas.
Der Schlüssel schabte im Schloss.
»Nein«, flüsterte Angie und zwang sich zur Eile. »Noch nicht, noch nicht.«
»Geh von der Treppe weg«, sagte er. »Ich meine es ernst.«
»Nein!«, kreischte sie, und hastete in dem Augenblick vom Glas weg, als die Tür aufging.
Grelles Licht leuchtete auf. Angie schaute zu Jasmine hinüber, sah, dass das Mädchen ihr das Gesicht zugewandt und die Augen einen Spalt geöffnet hatte, aber nichts sah. Der Mund stand offen. Ihr Kopf lag in einer Blutlache.
»Keine Tricks«, warnte Michael. Er stand mit der Waffe in der Hand oben auf der Treppe. Sein Oberkörper war nackt, er trug nur Jeans und Turnschuhe.
»Leck mich«, schnaubte Angie. Sie spürte das Seil nachgeben, aber nicht genug. Ihre Hände waren nass von Blut. Sie war noch immer gefesselt, noch immer hilflos.
Er steckte die Waffe in den Hosenbund und griff dann in seine Gesäßtasche.
»Geh weg«, sagte Angie.
Er setzte eine schwarze Skimaske mit Löchern für Augen und Mund auf.
»Geh weg!«, schrie sie, drückte sich an die Wand, versuchte aufzustehen.
Er nahm die Waffe wieder zur Hand und kam die Treppe herunter. Langsam, eine Stufe nach der anderen.
Angies Schultern waren bis zum Zerreißen gespannt, als sie erneut an dem Strick zerrte. Sie hatte ihn zuvor schon nachgeben gespürt.
Er kam mit langsamen Schritten die Treppe herunter. Die Skimaske war beängstigend, entsetzlicher als alles, was er hätte sagen können. Die Waffe hatte er auf ihre Brust gerichtet, das Messer steckte in einer Scheide an seiner Seite.
Angies Kehle schnürte sich zu. Sie konnte kaum noch sprechen. »Nein...«
Er trat über die letzte Stufe und blieb stehen. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz. Am Rand der Mundöffnung der Maske sah sie getrocknetes Blut.
Sie begann unkontrolliert zu zittern.
Er schaute zu Jasmine in die Ecke und machte dann einen Schritt auf Angie zu. Sie starrten einander an, und bis auf Angies kurze Atemzüge war es still im Raum.
Seine Stimme klang so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Michael wird dir jetzt weh tun.«
»Ich bring dich um«, hauchte sie. »Ich bring dich um, wenn du mich anrührst.«
»Leg dich hin.«
Sie trat nach ihm. »Du perverses Arschloch.« Er redete noch immer leise und sanft. »Leg dich auf den Boden.«
»Leck mich.«
Er hob die Waffe und schlug ihr damit auf den Kopf.
Angie sackte zu Boden. Sie konnte den Kopf nicht hochhalten, wusste eine Weile nicht, wo sie war.
Er nahm ihr Kinn in die Hand, sein Ton war noch immer sanft, als würde er zu einem ungezogenen Kind sprechen. »Werd mir jetzt ja nicht ohnmächtig«, flüsterte er. »Hast du mich verstanden?«
Hinter ihm sah sie Jasmine liegen, den Körper völlig schlaff. Was hatte er ihr angetan? Was hatte dieses Kind ertragen müssen, bevor sein Körper einfach aufgab?
»Schau mich an«, sagte Michael mit einer Stimme, als wäre es eine Art Verführung. »Hör nicht auf, mich anzuschauen. Angie. Schau Michael an.«
Ihr Kopf kippte zur Seite. Sie konnte nicht klar sehen.
»Na komm, Darling, jetzt nicht ohnmächtig werden.« Er nahm ihr Kinn wieder in die Hand, hob ihr Gesicht.
Weitere Kostenlose Bücher