Will Trent 01 - Verstummt
Leuten redete, die das Sagen hatten.
»Sie ist aufgeregt«, erklärte er Lydia. Es war eine Art Entschuldigung, die sie, wie er annahm, erwartete. »Es war schwer für sie.«
»Du hast doch deine Freiheit wieder«, entgegnete Lydia. »Ich weiß nicht, was du von mir willst. Ich bin eine alte Frau und möchte nur in Ruhe gelassen werden.«
»Das ist nicht so einfach.«
»Du bist doch draußen, oder?« Sie sagte es, als wäre das alles kein Problem, als würde John nicht immer Angst davor haben, immer darauf warten, dass man ihm wieder die Handschellen anlegte und ihn mit Zebra in eine Zelle sperrte. Er hatte sich beinahe in die Hose geschissen, als Will ihn an die Wand gedrückt hatte. Aus einigen Gefängnissen kam man nie heraus.
John holte tief Luft und zwang sich dazu, einer früheren Strafverteidigerin zu erklären, wie das Rechtssystem funktionierte. »Ich bin ein registrierter Sexualstraftäter. Ein Pädophiler. Ich bekomme keine anständige Arbeit, kann mir kein Haus kaufen. Ich werde nie ein richtiges Leben führen können.«
»Was ist mit Michael?«, hielt sie dagegen. »Auch er hat kein Leben mehr.«
Joyce gab einen Laut des Abscheus von sich. Sie stand mit vor der Brust verschränkten Armen vor dem Flügel und sah genauso aus wie ihr Vater.
John wandte sich wieder Lydia zu und versuchte mit sanften Worten, es ihr auseinanderzusetzen. »Michael tötete eine Frau namens Aleesha Monroe.«
»Sie war eine Prostituierte.«
Die Nachrichten hatte sie sich also angeschaut.
»Er entführte ein Polizeibeamtin«, fuhr John fort. »Die Knochen in ihrem Handgelenk sind so schlimm gebrochen, dass sie vielleicht ihre Hand nicht mehr benutzen kann.«
Darauf wusste Lydia keine Antwort.
»Er entführte ein kleines Mädchen, vergewaltige es und prügelte es beinahe zu Tode.«
»Soweit ich weiß«, erwiderte sie spitz, »war die Kleine alles andere als unerfahren.«
»Er biss ihr die Zunge ab.«
Lydia strich sich den Rock glatt und schwieg.
»Michael biss ihr die Zunge ab, so wie er sie Mary Alice abgebissen hatte.«
Wenn John Lydia nicht direkt angesehen hätte, wäre ihm ihre Reaktion entgangen. Einen Moment schien sie überrascht gewesen zu sein, da war er sich ganz sicher.
John sagte: »Ich weiß über den Bericht des staatlichen Zahnexperten Bescheid.«
Sie hob herausfordernd das Kinn. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Ich glaube, du weißt es sehr genau.«
»Ich erinnere mich nicht an einen solchen Bericht.« Dann fügte sie hinzu: »Und auch wenn ich es täte, kann ich jetzt nichts mehr tun.«
»Du kannst mir mein Leben zurückgeben«, schlug John vor. »Du musst dazu nichts anderes tun, als eine eidesstattliche Erklärung abgeben...«
»Mach dich doch nicht lächerlich.«
»Mehr will ich nicht, Lydia. Sag unter Eid aus, dass Michael es war, der Mary Alice umbrachte, nicht ich. Überzeuge sie davon, dass sie mein Strafregister löschen müssen, und ich...«
»Junger Mann«, unterbrach sie ihn noch einmal, und ihre Stimme klang ziemlich scharf. Er erkannte an ihrer Haltung, dass es vorbei war. Sie deutete zur Tür. »Ich will, dass du und deine Schwester dieses Haus auf der Stelle verlasst.«
John erhob sich automatisch, er war es gewohnt, Befehle zu befolgen. Joyce stand noch am Flügel. Tränen traten ihr in die Augen. Sie hatte so hart für ihn gekämpft und musste nun feststellen, dass sie nichts mehr für ihn tun konnte.
»Tut mir leid«, formten ihre Lippen.
Er schaute sich im Haus um, in diesem Mausoleum, das Lydia sich erbaut hatte mit dem Geld, das sie verdiente, indem sie Firmen und Ärzte und alle möglichen Menschen verklagte, die einen Fehler begangen hatten, von dem sie profitieren konnte.
Stunden hatte sie mit John im Bezirksgefängnis verbracht und versucht, seine Verteidigung auf die Beine zu stellen. Vor zwanzig Jahren hatte sie ihm geraten, nicht selbst auszusagen. Sie hatte sich um die Labortests, die Experten, die Zeugen gekümmert. Lydia war diejenige, die an diesem Tag ins Coastal kam, um ihm mitzuteilen, dass alles vorbei sei, dass es keine rechtliche Handhabe mehr gebe. Sie hatte damals geweint, und er hatte sie getröstet.
John erinnerte sich auch an einen anderen Tag im Coastal, an den ersten Besuch seiner Mutter, nachdem Zebra ihn so zugerichtet hatte.
»Du wirst nicht aufgeben«, hatte Emily ihm befohlen und seine Hände auf dem Tisch so fest umklammert, dass seine Finger taub wurden. »Hast du mich verstanden, John? Du wirst nicht aufgeben.«
Man
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