Will Trent 01 - Verstummt
hatte.
Er sagte: »Wenn man das durch zwanzig Jahre teilt, bekommt man - was - ungefähr hundertfünfzigtausend Dollar pro Jahr?«
Joyce kapierte langsam, worauf er hinauswollte. »Ja, Johnny. Das kommt ungefähr hin.«
»Scheint mir nicht mal annähernd genug zu sein, was?«
Die Augen seiner Schwester funkelten. Sie lächelte. »Nein.«
»Was meinst du, was sie auf der Bank hat?« Er wandte sich wieder an Lydia. »Vielleicht sollte ich diese Fragen direkt an dich richten?«
»Du solltest jetzt durch diese Tür gehen, wenn du weißt, was gut für dich ist.«
»Was für ein Auto fährst du? Mercedes? BMW?« Er kam sich vor wie ein Anwalt in einer Fernsehserie. Vielleicht hätte er Anwalt werden können. Wenn Michael Ormewood nie in sein Leben getreten wäre, hätte John Shelley vielleicht Arzt oder Anwalt oder Lehrer werden können... oder was es sonst noch so alles gab? Was hätte sein können? Er würde es nie erfahren. Niemand würde es je erfahren.
»John?« Joyce klang besorgt. Er war so still geworden.
Seine Stimme war nicht mehr so scharf, als er Lydia nun fragte: »Was ist mit dem Ring an deinem Finger? Wie viel ist der wert?«
»Verschwindet aus meinem Haus.«
»Du bist doch Anwältin«, fuhr John fort. »Du bist offensichtlich sehr gut damit gefahren, dass du Menschen um alles verklagt hast, was sie besitzen.« Er deutete auf das Haus, die ganzen nutzlosen Dinge.
»Macht, dass ihr rauskommt«, befahl Lydia. »Und zwar sofort.«
»Ich will dieses Haus«, sagte er, schlenderte durchs Zimmer und fragte sich, was ihr wohl den Rest geben würde. Er nahm eine monochromatische Leinwand von der Wand. »Ich will dieses Bild«, sagte er und ließ es zu Boden fallen, während er weiterging. »Ich will diesen Flügel.«
Er stellte sich neben Joyce und dachte sich, dass nichts ihm je teurer sein würde als das Wissen, dass sie ihm glaubte. Michael hatte versucht, ihn zu vernichten, aber er war jetzt nicht mehr da. Nichts konnte die Vergangenheit ändern, nur für die Zukunft konnten sie noch etwas tun.
Er fragte seine Schwester: »Wie oft hat Mom uns angeschrien, wir sollen unsere Tonleitern üben?«
»Ständig.«
John ließ die Finger über die Tasten wandern. »Das würde ihr gefallen«, sagte er und spielte ein paar Töne, an die er sich aus Vorzeiten erinnerte. »Es würde ihr gefallen, wenn ich wieder anfangen würde zu spielen.«
»Ja«, stimmte ihm Joyce mit einem Lächeln zu. »Das würde es.«
»Ihr sollt jetzt sofort aufhören!«, schrie Lydia. John warnte sie: »Ich glaube, du solltest aufpassen, wie du mit mir sprichst.«
Lydia stemmte eine Hand in die Taille. »Du hast nicht einmal annähernd hinreichend Beweise für eine Verurteilung. Auch trotz dieser jüngsten... Unterstellungen, die du gegen meinen Sohn vorbringst, hast du nicht den geringsten Beweis für irgendwas.«
»Bei Zivilprozessen ist die Beweislast geringer. Das weißt du genau.«
»Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viele Jahre ich Aussageniederschriften und Anhörungen hinauszögern kann?« Sie grinste mit ihren perlweißen Zähnen wie ein Krokodil und ließ ihre Stimme weicher, schwächer klingen. »Ich bin eine alte Frau. Das alles war ein schrecklicher Schock für mich. Ich habe meine guten Tage und meine schlechten...«
»Ich kann dein Vermögen einfrieren lassen«, entgegnete John. »Ich bin mir sicher, du hast viele schlechte Tage, wenn du in einem Einzimmerappartement am Buford Highway wohnst.«
»Du kannst mir nicht drohen.«
»Was ist mit der Presse?«, fragte er. »Joyce hat dich gefunden. Ich bin mir sicher, die Reporter können das auch. Vor allem, wenn sie ein wenig nachhilft.«
»Ich rufe jetzt die Polizei«, sagte Lydia und ging steif zum Telefon.
»Ich verlange doch nicht mehr als eine eidesstattliche Erklärung. Sag ihnen einfach, dass Michael Mary Alice umbrachte und mir die Sache anhängte - und du siehst mich nie wieder.«
»Ich rufe jetzt sofort die Polizei und lasse euch aus meinem Haus werfen.«
»Wie würde es dir gefallen, wenn eine Horde Reporter auf deiner Schwelle campierte? Wie würde es dir gefallen, wenn du ihnen erklären müsstest, dass du wusstest, dass dein Sohn ein Mörder war, aber nichts getan hast, um ihn aufzuhalten?«
Sie nahm einen ihrer schweren goldenen Ohrringe ab und hielt sich den Hörer ans Ohr. »Ich wusste nichts dergleichen.«
»Michael hat mir in diesem Keller was Lustiges erzählt, Tante Lydia.« Ihre Finger schwebten über dem Tastenfeld, aber sie wählte
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