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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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ging nicht zwanzig Jahre lang durch die Hölle, ohne etwas zu lernen. Das Gefängnis war nichts weiter als eine große Uhr, die nie aufhörte zu ticken. Das Einzige, was drinnen alle hatten, war Zeit, und die verbrachten sie mit Reden. Da waren die Angebersprüche - Fluchtpläne, Pläne, das Arschloch abzustechen, das einem in der Mittagessenschlange nicht den nötigen Respekt erwies -, aber man konnte nur eine gewisse Zeit Unsinn reden. Unweigerlich landete jeder einmal bei seiner Geschichte, wie er in den Knast geraten war. Natürlich waren alle unschuldig, ein korrupter Bulle hatte einem die Sache angehängt, das System hatte einen fertig gemacht. Alle arbeiteten auf ihre Weise daran, mit irgendeiner Masche, irgendeinem System aus dem Gefängnis herauszukommen.
    1977 entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, dass alle bundesstaatlichen und nationalen Gefängnisse mit angemessenen juristischen Bibliotheken auszustatten seien. Kein Mensch wusste genau, was angemessen bedeutete, aber die Bibliothek im Coastal konnte es mit jeder juristischen Unibibliothek aufnehmen, und so kam jeder Mann in dem Laden irgendwann dazu, seine Nase in eine Fallsammlung zu stecken und zu versuchen, eine obskure Passage, ein in Vergessenheit geratenes Urteil zu finden, irgendein Schlupfloch, das er für sich nutzen konnte. Die meisten Verurteilten wussten mehr über Recht und Gesetz als die Pflichtverteidiger, die der Staat ihnen zugewiesen hatte - und das war auch gut so, weil man normalerweise nur bekam, wofür man bezahlte.
    John nahm die Blumenvase vom Kaminsims.
    Steif wie ein Brett stand Lydia auf. »Stell sie wieder hin.«
    Er wog die Vase in der Hand. Bleikristall, schwer wie ein Stein. Wahrscheinlich ihr Gewicht in Gold wert. Das war das Einzige, was Lydia jetzt noch wichtig war - Geld: wie viel sie verdienen, wie viel sie für sich behalten konnte. Vier Ehen, ein Sohn, ein Enkel, und alles, was ihr davon geblieben war, waren diese kalten kleinen Gegenstände in ihrer sterilen Villa.
    Er sagte: »Ein schönes Heim hast du, Tante Lydia.«
    »Ihr beide, verlasst augenblicklich mein Haus.«
    »Dein Haus«, wiederholte John, zog die Seidenblumen aus der Vase und warf sie eine nach der anderen auf den teuren Teppich. »Das ist natürlich eine interessante Art, es zu formulieren.«
    »Ich rufe gleich die Polizei.«
    »Zuerst solltest du dich ducken.«
    »Wa...« Sie war alt, aber sie bewegte sich schnell, als sie John mit der Vase ausholen sah. Er warf sie hoch über ihren Kopf, aber die Splitter, die von der Wand herabregneten, fielen auf die Couch, auf der sie gesessen hatte.
    Lydia kreischte: »Wie kannst du es wagen!«
    Die Vase war vermutlich mehr wert als das, was er seit seiner Freilassung verdient hatte, aber Geld war John scheißegal. Auf der ganzen Welt gab es Reiche, die in ihren eigenen Gefängnissen hockten, gefangen in ihrer Gier, isoliert von der Welt um sie herum. Im Augenblick wollte er nichts anderes als seine Freiheit, und er würde tun, was immer dazu nötig war, um sie wiederzuerlangen.
    Er fragte seine Schwester: »Was meinst du ist dieses Haus wert?«
    Joyce stand stocksteif und mit offenem Mund da. Konflikte in ihrem Leben beschränkten sich normalerweise auf hitzige Verhandlungen oder kaum verhüllte Drohungen an einem polierten Konferenztisch oder bei Martinis in einem Klub. Im Coastal State Prison zählte so was nicht viel.
    John schätzte: »Eine Viertelmillion Dollar? Eine halbe Million?«
    Joyce schüttelte nur den Kopf, sie war zu schockiert, um etwas zu sagen.
    »Ihr!«, rief Lydia, die Stimme schrill vor Wut. »Ihr habt genau eine Minute, um dieses Haus zu verlassen, bevor ich die Polizei rufe und euch verhaften lasse.«
    »Eine Million?«, fragte John ungerührt weiter. »Na komm, Joycey. Du machst doch jeden Tag Immobiliengeschäfte. Du weißt genau, wie viel ein Haus wert ist.«
    Joyce schüttelte den Kopf, als würde sie nicht verstehen. Aber dann tat sie etwas, das ihn überraschte. Sie schaute sich nervös im Zimmer um, musterte die zwei Etagen hohe Kathedralendecke, die großen Fenster, die auf manikürte Rasenflächen hinausgingen. Als ihr Blick sich wieder auf John richtete, sah er, dass sie noch immer verwirrt war, ihm aber vertraute. Sie vertraute ihm so sehr, dass sie sagte: »Drei.«
    »Drei Millionen«, wiederholte John ungläubig. Er hatte schon gedacht, er sei reich, als er die dreitausendachthundert Dollar kassierte, die Michael auf Johns falschem Girokonto hinterlassen

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