Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
getätigt.«
    »Hoffentlich hat derjenige sich danach die Hände gewaschen.«
    Michael gestattete sich ein Lächeln. »Haben Sie sie gekannt?«
    »Alle ham wir sie gekannt.« Ihr Ton verriet, dass es noch viel mehr zu sagen gäbe, sie aber nicht diejenige sei, die es einem vertrottelten, weißen Bullen erzählen würde. Es war ziemlich offensichtlich, dass Nora nicht unbedingt einen Collegeabschluss in der Tasche hatte, aber auf so etwas hatte Michael noch nie Wert gelegt. Er sah es an den Augen, dass die Frau es faustdick hinter den Ohren hatte. Straßenschläue. In einer Gegend wie Grady wurde man nicht so alt, wenn man blöd war.
    Michael nahm den Fuß von der Stufe und ging auf die Frauen zu. »Hat sie gearbeitet?«
    Nora schaute ihn noch immer argwöhnisch an. »Fast jede Nacht.«
    »Sie war ein anständiges Mädchen«, bemerkte die weiße Frau hinter ihr.
    Nora schnalzte mit der Zunge. »So ein junges kleines Ding.« Ihre Stimme klang fast vorwurfsvoll, als sie sagte: »Kein Leben für sie, aber was hätte sie denn tun sollen?«
    Michael nickte, als würde er verstehen. »Hatte sie Stammkunden?«
    Sie schüttelten alle den Kopf, und Nora antwortete: »Sie hat die Arbeit nie mit nach Haus gebracht.«
    Michael wartete, ob sonst noch etwas kommen würde. Er zählte im Geist die Sekunden und dachte, zwanzig würde er ihnen geben. Ein Hubschrauber flog über das Gebäude, und ein paar Straßen entfernt quietschten Autoreifen, aber niemand achtete darauf. Es war ein Viertel, wo die Leute nervös wurden, wenn sie nicht wenigstens ein paarmal pro Woche Schüsse hörten. Ihr Leben hatte eine natürliche Ordnung, und Gewalt - oder deren Androhung - gehörte dazu wie Fastfood und Schnaps.
    »Okay«, sagte Michael, als er bei fünfundzwanzig angelangt war. Er zog eine Visitenkarte heraus und gab sie Nora mit der Bemerkung: »Was zum Arschwischen.«
    Sie schnaubte verächtlich und hielt die Karte zwischen Daumen und Zeigefinger. »Mein Arsch ist größer als die hier.«
    Er zwinkerte anzüglich und ließ seine Stimme heiser klingen. »Glaub bloß nicht, dass ich das nicht bemerkt hätte, Darling.«
    Sie lachte rau und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Die Karte hatte sie allerdings behalten. Er wertete dies als positives Zeichen.
    Michael ging wieder zur Treppe und nahm die erste Etage zwei Stufen auf einmal. Alle Gebäude in Grady verfügten über Aufzüge, aber sogar die funktionierenden waren gefährlich. In seinem ersten Jahr als Streifenpolizist war Michael zu einer häuslichen Auseinandersetzung in die Homes gerufen worden und in einem dieser quietschenden Kästen mit einem kaputten Funkgerät stecken geblieben. Ungefähr zwei Stunden lang hatte er versucht, nicht noch zusätzlich zu dem überwältigenden Gestank nach Pisse und Kotze beizutragen, bis sein Sergeant bemerkte, dass er sich nicht gemeldet hatte, und ein Team schickte. Die alten Hasen hatten dann noch eine halbe Stunde über seine Dummheit gelacht, bevor sie ihn befreiten.
    Willkommen bei den Brüdern.
    Als Michael die zweite Etage in Angriff nahm, spürte er eine Veränderung in der Luft. Zuerst bemerkte er den Geruch: die übliche Mischung aus frittiertem Essen, Bier und Schweiß, jetzt allerdings durchsetzt von dem unverkennbaren Gestank eines gewaltsamen Todes.
    In dem Gebäude hatten die Leute auf den Tod wie üblich reagiert. Anstatt des beständigen Wummerns von Rap aus unzähligen Lautsprechern hörte Michael jetzt nur das Murmeln von Stimmen hinter geschlossenen Türen. Fernseher waren leise gedreht, die Showeinlagen zur Halbzeit dienten als Hintergrundgeräusch, während die Leute über die junge Frau im sechsten Stock redeten und Gott dankten, dass es diesmal sie getroffen hatte und nicht ihre Töchter oder sie selbst.
    In der relativen Stille drangen nun Geräusche das Treppenhaus herunter, die vertrauten Laute an einem Tatort, wenn Spuren gesichert und Fotos geschossen wurden. Auf dem Absatz der vierten Etage blieb Michael stehen, um Atem zu holen. Er hatte zwei Monate zuvor mit dem Rauchen aufgehört, aber seine Lunge wollten ihm das noch nicht so recht glauben. Er kam sich vor wie ein Asthmatiker, als er die nächste Etage hochstieg. Über ihm lachte jemand heiser auf, und er hörte, wie andere Polizisten mit einfielen, die übliche, aufgesetzt kaltblütige Heiterkeit, die es ihnen erst ermöglichte, ihre Arbeit zu tun.
    Unten wurde eine Tür aufgerissen, Michael lehnte sich über das Geländer und erblickte zwei Frauen, die eine Trage

Weitere Kostenlose Bücher