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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Schalterhalle führten.
    Fach achtfünfzig befand sich in der ersten Reihe auf Augenhöhe. Das Fach daneben hatte einen orangefarbenen Aufkleber, doch was darauf stand, war nicht mehr zu entziffern.
    »Einen schönen Tag noch«, rief eine der Damen hinter der Kundentheke einer Frau zu, die aus der Schalterhalle kam und an John vorbeiwollte. Er wich ihr schnell aus und murmelte eine Entschuldigung, weil ihm Regen aus den Haaren tropfte. Als er wieder hochschaute, sah er jemanden zu den Postfächern gehen.
    John hielt die Luft an und krallte die Finger um den Briefumschlag, als eine dürre schwarze Frau, die in ihr Handy plapperte, ihren Schlüssel in das Schloss von Fach achtfünfzig steckte. Sie lachte ins Handy und sagte irgendetwas Abfälliges über ein Familienmitglied. Dann riss sie den Schlüssel unvermittelt wieder heraus und fluchte in das Gerät: »Scheiße, Mädchen, ich hab den Schlüssel ins falsche Fach gesteckt.«
    Sie schob den Schlüssel in das Schloss unter achtfünfzig und klemmte sich das Handy zwischen Kopf und Schulter, um weiterreden zu können.
    »Sir?«, sagte die Frau hinter John.
    Die Schlange hatte sich bewegt, John jedoch nicht. Mit einem Lächeln sagte er: »Entschuldigung. Ich habe meine Brieftasche vergessen«, und trat aus der Schlange.
    Was für eine blöde Zeitverschwendung. Er konnte unmöglich dieses Postfach den ganzen Tag im Auge behalten, und dass derjenige, der seinen Namen benutzte, gerade dann auftauchte, wenn John da war, kam ihm höchst unwahrscheinlich vor. Wenn er sich ein Lotterielos gekauft hätte, wären seine Chancen höher gewesen.
    Er stieß die Tür auf und warf den Briefumschlag in den Abfalleimer. Der Himmel hatte wieder seine Schleusen geöffnet; es regnete in Strömen. John zitterte. Hundert Dollar. Eine gute Winterjacke würde mindestens hundert Dollar kosten. Woher sollte er so viel Geld nehmen? Wie lange würde er auf einen verdammten Mantel sparen müssen?
    Mit hochgezogenen Schultern stand er an der Bushaltestelle und verfluchte sich und den Regen. Er musste anfangen, sich nach einem neuen Job umzusehen. Vielleicht irgendetwas drinnen, etwas mit regelmäßigen Arbeitszeiten, das nicht vom Wetter abhängig war. Etwas, wo sie nichts dagegen hatten, dass man gesessen hatte, auch wenn der Grund für die Strafe bedeutete, dass man einen Mann wie ihn abknallen sollte wie einen Hasen, um den Rest der Welt vor dem Bösen zu schützen, das er in sich trug.
    Die Wahlmöglichkeiten, die John hatte, beschränkten sich auf die gefährlichen Jobs. Die Hälfte der Jungs saß im Gefängnis, weil sie einen Eckladen oder ein Familienrestaurant überfallen hatten. Die meisten der Jungs im Todestrakt hatten ihre kriminelle Karriere damit begonnen, dass sie den örtlichen Quickie Mart ausraubten, und sie damit beendet, dass sie irgendeinem schlecht bezahlten Verkäufer wegen sechzig Dollar in der Ladenkasse eine Kugel in den Kopf jagten. Bevor Ms. Lam ihm den Job im Gorilla besorgt hatte, war John so verzweifelt gewesen, dass er beinahe mit den Eckläden angefangen hätte. Er wusste jetzt, dass er nicht weiter in der Autowaschanlage arbeiten konnte, nicht den Winter über. Er musste zu Geld kommen, und zwar schnell.
    Der Bus hatte Verspätung, und der Fahrer war gereizt, als er an der Haltestelle stoppte. Johns Laune entsprach der aller anderen, als er einstieg und nach hinten ging. Seine Dreißig-Dollar-Turnschuhe hatten sich im Regen mehr oder weniger aufgelöst. Er ließ sich auf einen leeren Platz auf der Rückbank fallen, und eigentlich hätte er nichts dagegen gehabt, wenn der Blitz, der draußen über den Himmel zuckte, durchs Fenster und ihm direkt in den Kopf gefahren wäre. Sein Hirn wäre hinüber, und er würde irgendwo in einem Pflegeheim vor sich hin vegetieren. Allmählich begriff er, warum so viele der Jungs so schnell wieder im Knast landeten. Er war fünfunddreißig Jahre alt, hatte noch nie ein Auto gefahren, war noch nie mit einem Mädchen gegangen, hatte noch nie wirklich gelebt. Was soll das alles, dachte John und starrte niedergeschlagen aus dem Fenster, als draußen gerade ein Mann versuchte, gleichzeitig den Regenschirm zu schließen und in sein Auto zu steigen.
    Ohne den Blick vom Fenster zu wenden, stand John auf, als der Bus anfuhr, um den Mann nicht aus den Augen zu verlieren.
    Wie viele Jahre waren vergangen? Sein Hirn wollte nicht nachrechnen, aber er wusste, dass er es war. Mit offenem Mund beobachtete er, wie der Mann den
    Regenschirm sein ließ

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