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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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saßen etwa sechzehnhundert Männer dort ein.
    John hätte nie geglaubt, dass er je freiwillig zum Coastal zurückkehren würde, aber er hatte sich in der Arbeit einen Tag freigenommen und war an diesem Morgen um sechs Uhr in den Greyhound-Bus gestiegen. Die Fahrkarte hatte ihn den Rest seines Fernseher-Gelds gekostet, aber das spielte keine Rolle. Im Bus lehnte er den Kopf ans Fenster und versuchte zu schlafen, aber es ging nicht, weil er immer an diese erste Fahrt in Handschellen und mit Fußfesseln denken musste. Er wollte nicht wieder einfahren. Er wollte nicht im Gefängnis sterben.
    Er hatte ein Buch dabei - Tess von den d'Urbervilles - und zwang sich, es während der fünfstündigen Fahrt zu lesen. John musste ständig zurückblättern, weil seine Gedanken mit jeder Meile, die sie zurücklegten, immer wieder abschweiften. Wie konnte seine Mutter diese Fahrt nur alle zwei Wochen bewältigen, ob bei Sonnenschein oder Regen? Kein Wunder, dass sie immer so erschöpft aussah, als sie bei ihm ankam. Sie hatte es zwanzig Jahre lang getan und in dieser ganzen Zeit nur drei Besuche ausgelassen.
    Tess hatte Angel eben ihre vornehme Herkunft gestanden, als der Greyhound vor dem Staatsgefängnis hielt. John legte sein Ticket auf den Sitz und steckte das Buch in die Plastiktüte, die er mitgebracht hatte.
    Mit hochrotem Kopf ließ John die Besucherkontrolle über sich ergehen. Er schämte sich, als er durchsucht und befragt wurde - nicht weil er das unter seiner Würde fand, sondern weil ihm endlich klar wurde, dass seine Mutter das bei jedem ihrer Besuche hatte durchmachen müssen. Er rechnete im Kopf nach, während sie seine Plastiktüte durchsuchten, die Stange Zigaretten aufrissen, das Buch beinahe Seite um Seite durchblätterten. Über fünfhundertmal hatte sie diese Fahrt absolviert. Wie hatte Emily das nur aushalten können? Wie hatte er seiner Mutter diese Demütigung antun können? Kein Wunder, dass Joyce so sauer gewesen war. John hasste sich selbst wie noch nie zuvor in seinem Leben.
    Er setzte sich auf einen der Plastikstühle und wartete, bis sein Name aufgerufen wurde. Sein Knie wippte schon wieder, doch alle anderen im Wartesaal wirkten völlig ruhig. Es handelte sich hauptsächlich um Frauen mit ihren Kindern. Sie waren da, um Daddy zu sehen. Ein Kind nahe bei John hielt die Kreidezeichnung eines Flugzeugs in der Hand. Ein anderes weinte, weil es seinen Teddybären nicht hatte mitbringen dürfen. Auf dem Röntgenbild war etwas Ungewöhnliches zu sehen gewesen, und die Mutter hatte sich geweigert, den Bären untersuchen zu lassen.
    »Shelley!«, rief eine Uniformierte. Keiner der Wachen hatte ihn erkannt, aber bei der Menge von Gefangenen und Besuchern, die jede Woche kamen, war das nicht verwunderlich. »Shelley?«, rief sie noch einmal.
    John stand auf und drückte sich die Plastiktüte an die Brust.
    »Tisch drei«, sagte sie und nickte in Richtung Besucherraum.
    Er legte die Tüte auf das Röntgenband, das dritte Mal, dass sie durchleuchtet wurde, ging dann durch den Metalldetektor und in den Besucherraum. Am Ende des Transportbands blieb er stehen, schaute in den Raum und versuchte ihn so zu sehen, wie seine Mutter ihn gesehen hatte. An den Boden geschraubte Picknicktische füllten den acht mal zehn Meter großen Saal. Männer saßen auf der einen Seite, ihre Frauen oder Freundinnen oder Nutten, die sie für den Besuch bezahlt hatten, auf der anderen. Kinder rannten lachend und schreiend umher, und etwa alle drei Meter stand eine Wache mit dem Rücken zur Wand. Überall befanden sich Kameras, die langsam hin und her schwenkten.
    Ben Carver saß an einem der hinteren Tische, Tisch drei. Er trug wie immer ein weißes T-Shirt, eine weiße Hose und weiße Socken. Er hatte auch ein Paar Lederpantoffeln an den Füßen, die seine Mutter ihm geschickt hatte, die er aber außerhalb der Zelle nur selten trug, weil er nicht wollte, dass sie schmutzig wurden.
    Jeder im Gefängnis verkörperte ein Image, eine künstliche Persönlichkeit, die ihm zu überleben half. Die Schläger wurden gemeiner, die Aryans noch brutaler, die Schwulen schwuler und die Verrückten noch bekloppter. Ben gehörte in die letzte Kategorie, und er arbeitete mit Verve an seinem Image. Wobei dies, dachte John, dem Mann nicht schwerfallen dürfte. Als das GBl ihn endlich zu fassen bekam, hatte Ben in Atlanta und Umgebung sechs Männer getötet. Seine spezielle Masche war es, ihnen die rechte Brustwarze abzuschneiden und sie als Souvenir zu

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