Will & Will
der Darsteller lassen eindeutig den Schluss zu, dass wir uns bei der Gay-Pride-Parade befinden. Tiny und Phil Wrayson stehen in der Mitte der Bühne, während Menschen an ihnen vorbeiströmen, die laut singen und exaltiert winken. Gary sieht mir so ähnlich, dass es fast schon unheimlich ist. Er sieht mir viel ähnlicher als der Tiny-Darsteller Tiny.
Sie unterhalten sich eine Minute lang, und dann sagt Tiny:
»Mann, ich bin so schwul.«
Völlig überrumpelt sage ich: »Nein!«
Und er: »Ist aber so.«
Ich schüttle den Kopf. »Meinst du damit, dass du im Moment so richtig glücklich bist?«
»Nein, Phil, was ich damit meine … also dass der Typ da drüben« – er deutet auf Ethan, der ein hautenges gelbes Muscle-Shirt anhat – »einfach total scharf ist, und angenommen, ich rede mit ihm und es stellt sich raus, dass er ein guter Kerl ist und mich so respektiert, wie ich bin, also dann würde ich mich durchaus von ihm auf den Mund küssen lassen.«
»Du willst mir wirklich erzählen, dass du schwul bist?«, frage ich, allem Anschein nach fassungslos.
»Ja. Ich weiß. Ich weiß, es ist ein Schock. Aber ich wollte, dass du der Erste bist, der es erfährt. Außer meinen Eltern natürlich.«
Und dann fängt Phil Wrayson an zu singen, und der Text besteht mehr oder weniger aus genau den Worten, die ich damals zu Tiny gesagt habe, als die Szene sich wirklich ereignete: »Erzähl mir doch gleich, der Himmel ist blau oder die Tage im November sind grau oder Einstein war schlau. Sag mir, ist der Papst katholisch? Geht die Sonne im Osten auf? Hat der Haifisch Zähne?«
Und danach wird das Lied zu einem Duett mit Rede und Widerrede, in dem Tiny immer wieder überrascht ist, wie ich drauf kommen konnte, dass er schwul ist, und ich immer wieder verkünde, dass das doch jeder sehen kann.
»Bin ich denn nicht im Football-Team?«
»Trotzdem wirst du nur mit Schwulen intim!«
»Wirkt meine männliche Pose nicht hetero?«
»Tiny, du wackelst zu oft mit dem Po!«
Und so weiter. Ich komm aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Vor allem aber kann ich kaum glauben, wie genau er
sich an alles erinnert. Und was für wirklich gute Freunde wir immer waren. Und ich singe: »Aber mich, liebst du mich denn als Mann auch?« Woraufhin er antwortet: »Da wär mir lieber ein Gartenschlauch«, und hinter uns wirft der Chor die Beine wie die Rockettes hoch in die Luft.
Jane legt mir eine Hand auf die Schulter, zieht mich zu sich runter und flüstert: »Siehst du? Er liebt dich auch«, und ich beuge mich vor und küsse sie in dem kurzen, stillen Moment zwischen dem Ende des Songs und dem Beginn des Beifalls.
Als sich der Vorhang für eine kurze Umbaupause schließt, kann ich die stehenden Ovationen dahinter zwar nicht sehen, aber ich kann sie hören.
Tiny rennt von der Bühne und ruft: »WOOHOOHOO-HOOHOOOO!«
»Man könnte es glatt am Broadway zeigen«, sage ich zu ihm.
»Das Stück ist viel besser geworden, seit es darin um die Liebe geht.« Er schaut mich an, den Mund zu einem schrägen Lächeln verzogen, und ich weiß, das ist bei ihm das Höchste der Gefühle. Tiny ist der Schwule von uns beiden, aber ich bin eindeutig der Sentimentalere. Ich nicke und flüstere: »Danke.«
»Tut mir leid, wenn du im nächsten Teil etwas nervig rüberkommst.« Tiny hebt die Hand, um sich durch die Haare zu fahren, aber wie aus dem Nichts taucht Nick auf, macht einen großen Satz über einen Verstärker, packt Tiny in allerletzter Sekunde am Arm und brüllt: »FASS BLOSS DEINE PERFEKTEN HAARE NICHT AN!«
Der Vorhang geht auf und die Bühne zeigt die Eingangshalle unserer Schule. Tiny und ich kleben Plakate. Ich nerve
ihn ziemlich, in meiner Stimme sitzt dieser Frosch, der alles zittrig klingen lässt. Aber es verletzt mich nicht mehr, jedenfalls fast nicht – Liebe kommt eben ohne Wahrheit nicht aus. Unmittelbar auf diese Szene folgt eine, in der Tiny auf einer Party völlig betrunken ist und die Figur namens Janey ihren einzigen Auftritt in dem Stück hat – bei einem Duett mit Phil Wrayson. Sie singen es, während sie links und rechts neben dem ohnmächtig gewordenen Tiny stehen. Am Höhepunkt der Nummer gewinnt Garys Stimme plötzlich an Selbstvertrauen und dann beugen Janey und Phil sich über den halb bewusstlosen, unverständlich vor sich hin brabbelnden Tiny und küssen sich. Ich verfolge die Szene nur mit halbem Auge, weil ich mir Janes Lächeln nicht entgehen lassen will.
Die Lieder werden danach immer noch besser und besser,
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