Will & Will
Offensichtlich spielt Tiny gar nicht Tiny. Er spielt den Trainer.
Ein tollpatschiger jüngerer Schüler spielt Tiny. Er kann nicht aufhören, mit den Beinen zu zappeln, wobei ich nicht erkennen kann, ob er das schauspielert oder tatsächlich nervös ist. Er ruft mit hysterischer, fast weiblicher Stimme: »Hey, Batta
Batta, SCHWING, Batta.« Es klingt, als würde er mit dem Batter flirten.
»Idiot«, sagt einer auf der Bank. »Einer von uns ist der Batter.«
Gary sagt: »Du bist Spucke und Tiny ist aus Gummi. Alles, was du sagst, kommt zu dir zurück wie ein Flummi.« An den herabhängenden Schultern und dem verdrucksten Auftreten lässt sich eindeutig erkennen, dass Gary mich spielt.
»Tiny ist schwul«, sagt ein anderer.
Der Trainer fährt zur Bank herum und brüllt: »Hey! HEY! Keine Beleidigungen von Teamkameraden.«
»Das ist keine Beleidigung«, sagt Gary. Aber er ist nicht mehr Gary, sondern er erinnert mich wirklich an mich. Es ist nicht mehr Gary, der redet. Ich bin es. »Sondern eine Tatsache. Manche sind eben schwul. So wie andere eben blaue Augen haben.«
»Halt’s Maul, Wrayson«, sagt der Trainer.
Der Junge, der Tiny spielt, blickt dankbar zu Gary, der mich spielt, und dann verkündet einer der anderen Jungs auf der Bank laut: »Ihr seid so schwul miteinander!«
Und ich sage: »Wir sind nicht schwul, sondern gute Freunde.« Genau so war es. Ich hatte es bloß vergessen. Aber in dem Moment, als ich die Szene auf der Bühne sehe, erinnere ich mich wieder.
Woraufhin der andere Junge sagt: »Du willst doch auf dem Spielfeld am liebsten mit Tiny Händchen halten.«
Phil Wrayson verdreht nur die Augen. Und dann steht der tollpatschige Junge, der Tiny spielt, auf und macht einen Schritt nach vorn. Er stellt sich vor den Trainer hin und fragt: »Was gibt es Schöneres für einen schwulen Mann?« Und
dann macht der echte Tiny auch einen Schritt nach vorn und stellt sich neben ihn, und gemeinsam stimmen sie den wunderbarsten Musical-Song an, den ich jemals gehört habe. Als Refrain singt der Chor dazu immer wieder:
Ich will mit dir Händchen halten
auf dem Spielfeld des Lebens,
denn gute Freunde sollt ihr sein,
durch dick und dünn sollt ihr miteinander gehen,
auf dem Spielfeld des Lebens.
Hinter den beiden Tinys, die Arm in Arm singen, führen die Jungs aus dem Chor – einschließlich Ethan – einen hinreißenden, herrlich altmodischen Stepptanz mit komplizierter Choreografie auf, bei dem ihre Baseballschläger zu Stöcken und ihre Baseballkappen zu Zylindern werden. Bis mittendrin auf einmal die eine Hälfte der Jungs ihre Schläger auf die Köpfe der anderen Hälfte der Jungs niedersausen lässt, und obwohl ich von meinem seitlichen Beobachterposten aus klar sehen kann, dass das alles nur gespielt ist, stöhne ich mit dem Rest des Publikums auf, als die Getroffenen zu Boden sinken und die Musik plötzlich abbricht. Einen Augenblick später springen sie alle wie ein Mann auf und das Lied geht weiter. Zum Abschluss der Nummer tanzen Tiny und der Junge zusammen von der Bühne, begleitet vom donnernden Applaus und Bravo-Rufen des Publikums. Die Schweinwerfer gehen aus. Tiny landet schweißgebadet in meinen Armen.
»Nicht schlecht gelaufen«, sagt er.
Ich schüttle nur den Kopf, platt vor Bewunderung. Jane hilft ihm schnell aus den Schuhen und sagt: »Tiny, du bist ein
Genie.« Er zieht hastig seine Baseballkluft aus und darunter kommt ein sehr Tiny-mäßiges lila Poloshirt mitsamt passenden Shorts zum Vorschein.
»Ist mir schon klar«, sagt er. »Okay. Zeit, mich offiziell zu outen.« Er saust wieder auf die Bühne. Jane nimmt meine Hand und küsst mich auf den Hals.
Es ist eine ruhige Szene, in der Tiny seinen Eltern erzählt, dass er »möglicherweise so was Ähnliches wie schwul« ist. Sein Vater sitzt schweigsam da, während seine Mutter von bedingungsloser Liebe singt. Es ist eigentlich ein ernstes Lied, bekommt aber durch Tinys Einschübe eine Wendung ins Komische, weil er jedes Mal, wenn seine Mutter singt: »Wir werden unseren Tiny immer lieben« mit immer noch mehr Geständnissen herausrückt, wie: »Und in Mathe hab ich auch abgeschrieben« und: »Wenn euer Wodka nur noch nach Wasser schmeckt, das war ich« und: »Die Erbsen auf meinem Teller hab ich früher immer an Bello verfüttert.«
Nach der Szene erlöschen die Scheinwerfer erneut, doch Tiny verlässt die Bühne diesmal nicht. Als es wieder hell wird, sind auf der Bühne keine Kulissen zu sehen, aber die Kostüme
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