Will & Will
Katze sind wir beide. Ich bin eine Physikerin. Du bist ein Physiker. Die Katze sind wir beide.«
»Äh, okay«, sage ich. »Die Physikerin hat einen Freund.«
»Die Physikerin hat keinen Freund. Die Physikerin hat ihrem Freund im Botanischen Garten den Laufpass gegeben, weil er nicht aufhören konnte, damit anzugeben, dass er 2016 an den Olympischen Spielen teilnimmt, und weil in ihrem Kopf andauernd diese kleine Stimme namens Will Grayson war, die geflüstert hat: ›Und für wen wird er bei den Olympischen Spielen antreten, für die USA oder für das Vereinigte
Königreich aller Warmduscher?‹ Deshalb hat die Physikerin mit ihrem Freund Schluss gemacht und verlangt jetzt, dass die Schachtel geöffnet wird, weil sich darin die Katze befindet, an die sie dauernd denken muss. Die Physikerin würde auch akzeptieren, wenn die Katze tot ist. Aber sie will es wissen.«
Wir küssen uns. Ihre Hände auf meinem Gesicht sind eiskalt und sie schmeckt nach Kaffee und mir hängt noch der Zwiebelgeruch in der Nase und meine Lippen sind von dem endlosen Winter ganz ausgetrocknet. Und es ist großartig.
»Deine Einschätzung als Physikerin?«, frage ich.
Sie lächelt. »Meiner Meinung nach ist die Katze lebendig. Und was sagt mein hochverehrter Kollege dazu?«
»Lebendig«, sage ich. Was auch stimmt. Und deshalb ist es umso sonderbarer, dass ich, während ich mit Jane spreche, gleichzeitig einen kleinen Stich verspüre. Eine frische, unvernähte Wunde. Ich hatte gehofft, an der Tür wäre Tiny, überbordend von Entschuldigungen, die ich gnädig akzeptieren würde. Aber so ist das Leben. Wir werden erwachsen. Planeten wie Tiny suchen sich neue Trabanten. Trabanten wie ich suchen sich neue Planeten. Jane löst sich eine Sekunde lang von mir und sagt: »Da riecht was gut. Ich meine, außer dir.«
Ich lächle. »Wir kochen gerade Chili con carne«, sage ich. »Willst du … willst du reinkommen und meinen Dad kennenlernen?«
»Ich will nicht unange –«
»Ach was«, sage ich, »er ist nett. Vielleicht ein bisschen merkwürdig. Aber trotzdem nett. Du kannst zum Essen bleiben.«
»Ähm, okay, ich muss nur zu Hause anrufen.«
Ich stehe fröstelnd in der Kälte, während sie mit ihrer Mutter telefoniert. »Ich bleibe bei Will Grayson zum Abendessen«, höre ich sie sagen. »Ja, sein Vater ist da … Sie sind Ärzte. … Ja, klar.… Okay, dann bis später.«
Ich geh wieder rein. »Dad«, sage ich, »das ist meine Freundin Jane.« Er taucht mit seiner über Hemd und Krawatte gebundenen Chirurgen-schneiden-mit-sicherer-Hand-Schürze aus der Küche auf. »Ich hab’s: Unsere Gesellschaft verspielt gerade den Kredit auf uneingeschränkten Konsum«, verkündet er mit strahlender Miene. Ich lache.
Jane enttäuscht mich nicht. Sie streckt die Hand aus und sagt: »Hallo, Dr. Grayson. Ich bin Jane Turner.«
»Ist mir ein Vergnügen, Ms Turner.«
»Ist es in Ordnung, wenn Jane zum Abendessen bleibt?«
»Aber natürlich. Jane, würden Sie uns bitte einen Moment entschuldigen?«
Dad zieht mich in die Küche, beugt sich zu mir und raunt: »War das der Grund für deine Probleme?«
»Komischerweise nicht«, sage ich. »Aber wir sind, also irgendwie – ja.«
»Ihr seid also irgendwie – ja«, murmelt er vor sich hin. »Ihr seid also irgendwie – ja.« Und dann sagt er ziemlich laut: »Jane?«
»Ja, Dr. Grayson?«
»Was haben Sie für einen Notendurchschnitt?«
»Ähm, eins minus, Dr. Grayson!«
Er schaut mich an, die Lippen nachdenklich zusammengekniffen, und nickt langsam. »Annehmbar«, sagt er. Dann grinst er.
»Dad, ich brauche deine Zustimmung nicht«, sage ich leise.
»Ich weiß«, antwortet er. »Aber ich dachte mir, vielleicht freut es dich ja trotzdem.«
sechzehn
vier tage vor der premiere ruft tiny an und sagt mir, dass er einen tag auszeit braucht. er will einen ›tag der seelischen gesundheit‹ nehmen. nicht nur weil die aufführung das reinste chaos ist. sondern weil der andere will grayson nicht mehr mit ihm redet. das heißt, er redet schon noch mit ihm, aber er sagt ihm nichts mehr. und die eine hälfte von tiny ist total angenervt, dass d.a.w.g. ›diesen scheiß so kurz vor der premiere inszenieren muss‹, und die andere hälfte von ihm hat so richtig schiss, dass zwischen ihnen beiden was so richtig schiefgelaufen sein könnte.
ich: was kann ich da tun? ich bin der falsche will grayson.
tiny: ich brauch einfach eine will-grayson-dosis. ich bin in einer stunde bei dir in der schule. ich
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