Will & Will
schaukelbrett.
tiny: du auch.
es ist mindestens zehn jahre her, seit ich das letzte mal auf einer schaukel gesessen habe. und ich mach das jetzt nur, damit tiny wenigstens mal eine sekunde ruhe gibt. keiner von uns beiden schaukelt – ich glaub, das würde das gestell nicht verkraften. wir sitzen einfach nur da und baumeln in der luft. tiny dreht sich mit der schaukel, sodass er mich anschauen kann. ich dreh mich auch und stell die füße auf den boden, damit die kette sich nicht wieder aufdreht.
tiny: und? besser?
ich kann einfach nicht anders. ich sage
ich: besser als was?
tiny lacht und schüttelt den kopf.
ich: was denn? warum schüttelst du den kopf?
tiny: nichts.
ich: sag schon.
tiny: es ist nur lustig.
ich: WAS ist lustig?
tiny: du. und ich.
ich: schön, dass du es so lustig findest.
tiny: ich fänd’s schöner, wenn du es lustiger finden könntest.
ich hab keinen blassen schimmer, worüber wir eigentlich reden.
tiny: weißt du, was eine großartige metapher für die liebe ist?
ich: mein bauch sagt mir, dass ich’s gleich von dir erfahren werde.
er dreht sich von mir weg und macht einen versuch, richtig zu schaukeln. das gestell ächzt so laut, dass er aufhört und sich wieder zu mir dreht.
tiny: dornröschen.
ich: dornröschen?
tiny: ja, weil man durch ein unglaubliches dickicht voller dornen hindurchmuss, und wenn man es geschafft hat, muss man auch noch die prinzessin wachküssen.
ich: und ich bin die dornenhecke, ja?
tiny: und die prinzessin, die noch nicht wachgeküsst ist.
ich erspare mir den hinweis, dass tiny nicht gerade das ist, was kleine mädchen sich unter einem märchenprinzen vorstellen.
ich: wundert mich nicht, dass du so denkst.
tiny: warum?
ich: weil dein leben ein einziges musical ist.
tiny: hörst du mich jetzt etwa singen?
aber ich hör ihn beinahe. ich würde ja gern mit ihm in seiner musical-märchen-welt leben, wo hexen wie maura mit einem beherzten wort besiegt werden und die waldbewohner alle glücklich sind, wenn die zwei schwulen jungs am ende hand in hand über die blumenwiese gehen. und gideon ist der hübsche prinz, von dem man weiß, dass die prinzessin ihn nicht heiraten kann, weil ihr herz dem biest gehört. es muss eine wunderbare welt sein, in der solche dinge passieren. eine reiche, verwöhnte, farbenprächtige welt. vielleicht werde ich ihr eines tages einen besuch abstatten, aber ich hab da so meine zweifel. solche welten neigen nicht gerade dazu, einem versager wie mir ein visum auszustellen.
ich: irgendwie kann ich’s immer noch nicht fassen, dass jemand wie du den ganzen langen weg auf sich nimmt, nur um mit jemandem wie mir zusammen zu sein.
tiny: bitte nicht schon wieder!
ich: was denn?
tiny: das gespräch haben wir jedes mal. wenn du immer nur darum kreist, wie schlecht es dir geht, wirst du nie begreifen, wie gut es dir eigentlich gehen könnte.
ich: für dich sagt sich das so leicht!
tiny: wie meinst du das?
ich: genau wie ich’s sage. ich erklär’s dir mal anders: für dich – das gegenteil von ›für mich‹ – ist das so leicht – ohne irgendwelche probleme – zu sagen – laut aussprechen, manchmal so häufig, bis der andere es nicht mehr hören
kann. soll heißen: dir geht es so gut, du begreifst nicht mal, dass es keine sache der freien wahl ist, ob es dir schlecht geht oder nicht.
tiny: das weiß ich wohl. ich hab ja nicht gesagt, dass …
ich: ja?
tiny: ich versteh dich.
ich: du verstehst gar nichts. weil du es so leicht hast.
jetzt habe ich es geschafft. er ist aufgebracht und wütend. er steht von der schaukel auf und stellt sich vor mich hin. eine ader an seinem hals schwillt an. wenn er wütend ist, wirkt er gleichzeitig richtig traurig.
tiny: HÖR AUF, MIR DAUERND ZU SAGEN, WIE LEICHT ICH ES HABE! hast du überhaupt eine ahnung, wovon du da redest? ich bin nämlich auch ein mensch. und ich habe auch probleme. auch wenn es sich nicht um deine probleme handelt, probleme sind es trotzdem.
ich: und was zum beispiel?
tiny: dir dürfte vielleicht aufgefallen sein, dass ich nicht gerade das bin, was man schön nennt. man könnte sogar sagen, dass ich geradezu das gegenteil davon bin. und von wegen etwas so oft sagen, bis der andere es nicht mehr hören kann. glaubst du, dass ich an irgendeinem tag auch nur eine einzige minute vergesse, wie riesig ich bin? glaubst du, dass eine einzige minute verstreicht, in der es mir egal
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