Willenlos
antwortete zunächst nicht. Aus dem Hintergrund klang wieder das klackernde Geräusch des Tischtennisballs herüber. Autotüren schlugen zu, Joshua hörte die Stimme seiner Mutter. Janine kam mit einem übervollen Tablett in den Garten, GuntherTrempe rückte näher an Joshua.
»Ist es nicht gewagt, nach zwei ähnlichen Fällen«, Gunther Trempe betonte das Wort ›ähnlichen‹ besonders, »gleich einen Zusammenhang herzustellen?«
Joshua hatte sich an die sarkastischen Antworten seines Vaters gewöhnt, fragte sich manchmal, ob er nicht bewusst eine andere Meinung vertrat, um ihn zu fordern.
»Mal ehrlich, woraus besteht dein Modus Operandi? Der Täter schlitzt den Opfern von hinten die Kehle auf, und sonst? Davon kann ich dir aus meiner aktiven Zeit noch ein paar Fälle geben. Das ist keine neue Mordmethode. Noch nicht einmal die Tatwaffe ist dieselbe. Warum sollte ein Serientäter an jedem Tatort die Tatwaffe zurücklassen? Um es euch leichter zu machen?«
»Damit liegst du möglicherweise gar nicht verkehrt. Immerhin hat Thalbach unter anderem wegen der gefundenen Tatwaffe lebenslänglich bekommen.«
»Auf der sich dummerweise auch noch seine Fingerabdrücke befanden.«
»Wie bei Hornbach«, Joshua wurde lauter, sein Vater hatte es wieder einmal geschafft, ihn aus der Reserve zu locken, »ein bisschen viel Zufall, oder?«
»Punkt für dich, das ist wirklich seltsam.«
Joshua musste lachen. Er war wieder einmal reingefallen.
»Selbst der unerfahrenste Mörder«, fuhr Gunther Trempe ungerührt fort, »dürfte mittlerweile gehört haben, dass es ungeschickt ist, am Tatort die Tatwaffe mit seinen Fingerabdrücken liegen zu lassen. Was sagt uns das?«
»Dass ich recht habe, es handelt sich um eine Serientat.«
»Sachte Joshua, Totschlag im Affekt ist auch noch in der Lostrommel. Zum Beispiel, wenn Eifersucht das Motiv war. Der Täter hat seinem Opfer aufgelauert, um es zur Rede zu stellen. Es kommt zum Streit, das Opfer wendet sich ab und zack!«
Joshua gab auf. Es erschien ihm völlig abwegig. Er mochte nicht an diesen Zufall glauben. Mittlerweile kam seine Mutter, sie brachte einen Erdbeerkuchen mit. Bevor sie sich setzte, zog sie einen Stapel Geld aus der Tasche und wedelte mit den Scheinen vor den Augen ihres Mannes herum.
»1500 Euro, nicht schlecht für deine alte Hobbymalerin, oder?«
Ein wenig Anerkennung wäre durchaus angebracht gewesen, aber Gunther Trempe konnte sich nicht einmal ein Lächeln abringen.
»Prima, ist der Kühlschrank nächsten Monat wieder gefüllt.«
Seiner Frau war die Enttäuschung anzusehen, Janine reagierte wütend.
»Gunther, warum bist du so gemein?«
Er drückte die Zigarre aus, senkte dabei den Blick.
»Entschuldigung«, es klang kaum verständlich, »ich habe mir die Zeit als Pensionär anders vorgestellt. Uns geht es prima, wir brauchen dieses Geld nicht. Ich würde stattdessen lieber mehr Zeit mit meiner Frau verbringen.«
Janine schwieg. Sie durfte nicht sagen, dass ihre Schwiegermutter jeden Cent davon beiseitelegte, um ihrem Mann im Oktober eine Weltreise zum Geburtstag zu schenken. Gunther Trempe träumte schon immer davon.
»Guten Tag, störe ich?«
Niemand hatte Siggi Blankenagel kommen hören. Für den Nachbarn der Trempes gab es keinen Sonntag, zumindest wählte er für diesen Tag keine andere Garderobe als für jeden anderen Tag der Woche. Über verdreckten Laufschuhen und einer hellgrünen Gärtnerhose trug er ein ausgewaschenes Sweatshirt. Er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe, grobporige Haut und eine Nase, deren Spitze an einen Kleiderhaken erinnerte. Die wuscheligen, graubraunen Haare wurden zum Teil von einem blassen Schlapphut bedeckt. Anfangs stand sein Vater dem Nachbarn skeptisch gegenüber. Mittlerweile verstand er sich gut mit ›Siggi von nebenan‹, vor allem nachdem dieser den Funkmast von seinem Grundstück verbannen ließ, auf biologischen Anbau von Gemüse umsattelte und dreimal wöchentlich frisches Obst und Gemüse zum Selbstkostenpreis brachte. Joshua mochte ihn. Früher ging er einige Male mit dem Nachbarn joggen. Obwohl fast zehn Jahre jünger, kam Joshua kaum mit. Siggi, für gewöhnlich ein fröhlicher Zeitgenosse, wirkte besorgt. Seinen Eltern konnte Joshua ebenfalls anmerken, dass es ein Problem gab.
»Wie geht’s ihr? Können wir euch helfen?«
Frau Trempe legte sehr viel Einfühlungsvermögen in ihre Stimme. Siggi Blankenagel sah sie betreten an. Er schwieg. Seine Augen wanderten vorsichtig
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