Willenlos
Gerechtigkeit, Daniel wollte keine Ausnahme sein.
Von Weitem erkannten sie ihre Kollegin. Karin trug einen Berg Akten, stützte sich an der Wand ab und nestelte mit der anderen Hand am Türschloss. Gemeinsam verteilten sie die Akten gleichmäßig auf die Schreibtische. Daniel und Joshua sahen ihre Kollegin fragend an.
»Von Schorndorf. Unsere Behörde ist für die Sicherheit von ›Big Brother‹ zuständig. Übermorgen um zehn findet eine erste Besprechung der am Einsatz beteiligten Dienststellen statt, wir sollen die Kollegen einweisen.«
Joshua seufzte.
»Sind doch noch drei Wochen, warum die Eile?«
Karin zuckte die Schultern. Der amerikanische Wirtschaftsminister mitsamt einem Dutzend führender Unternehmer hatte seinen Besuch in der Landeshauptstadt angekündigt. Joshua hasste es, Kindermädchen für VIPs zu spielen. Unter diesen Umständen konnte er sich die Bitte an Schorndorf sparen, Personal abzustellen, um den Fall Dahlmann noch einmal überprüfen zu können.
»Bornmeier ist noch nicht im Büro«, Joshua legte mit gesenkten Mundwinkeln den Hörer auf. Karin hob das Gesicht. Joshua erzählte der Fahnderin von dem Gespräch mit Fabiola Meingold am vergangenen Samstag.
»Ihr glaubt, die Fälle hängen zusammen?«
Joshua war die Enttäuschung anzusehen, er hatte eine andere Reaktion erwartet.
»Derselbe Tathergang, dasselbe Verhalten vom Täter, fast identische Beweise, das schreit förmlich nach einem Serientäter.«
Karin lehnte sich zurück. Kleine Falten bildeten sich auf der Stirn. Vor wenigen Wochen hielt sie es nicht für möglich, dass Udo Hornbach einen Mord begangen haben sollte. Karin schämte sich noch immer für die Erleichterung, als Joshua ihr das Ergebnis des DNA-Vergleichs mitgeteilt hatte. Sie spürte den Schauer, den ihr Gewissen in kleinen Wellen durch jede einzelne Faser ihres Körpers jagte. Sie fühlte sich wie eine Außenseiterin. Der Welt entrückt, abgetrennt von Gefühlen, die mächtiger waren als alles, was sie bis dahin kennengelernt hatte. Sie musste es sagen. Langsam öffneten sich ihre Lippen. Schwer wie Blei lagen die Worte auf der Zunge. Sie sah Ulf vor sich, die Lippen begehrlich näher kommen, glaubte sie zu spüren wie einen zarten Hauch. Was für Karin vor vier Wochen als Abenteuer begonnen hatte, ein kribbelndes Spiel mit dem Feuer, war längst in tiefe Zuneigung übergegangen.
Er hat nichts damit zu tun, sie war ganz sicher. Karin presste die Lippen aufeinander, schluckte den Satz herunter. Auf gar keinen Fall wollte sie ihr Privatleben in den Mittelpunkt der Ermittlungen stellen. Sinnlos und ohne Grund, nur der Form halber, um etwas auszuschließen, was sie längst wusste.
»Das ist absurd«, presste sie hervor, »der Täter klaut vorher Autos, Schuhe und DNA-Material der Tatverdächtigen und sieht beiden so ähnlich, dass die Zeugen ihn sowohl als Hornbach als auch als Thalbach identifizieren?«
Joshua fuhr sich grübelnd mit der Hand über die Wangen.
»Da hat sie recht«, bestätigte Daniel die Kollegin mit einem Seitenblick auf Joshua, »im Übrigen war zumindest Hornbach zweifellos direkt nach der Tat in der Nähe des Tatortes, auch wenn er dies abstreitet. Ich denke, derselbe Tathergang ist einfach nur Zufall. Dass ein Täter alles abstreitet, ist auch nicht wirklich neu.«
Aus allen Winkeln des Gehirns rasten Gedanken aufeinander zu, die so gegensätzlich waren wie die Aussagen der potenziellen Mörder. Joshua bemühte sich um Ordnung, wollte den einen Gedanken fassen, der alles erklären würde. Er fand ihn nicht. Alles schien so verständlich und doch oberflächlich. Einfach und möglicherweise sehr kompliziert. Beweise, die sich mit leichter Hand passgenau einfügen ließen, erschienen ihm, als wären sie mit einem Hammer eingemeißelt worden.Zurechtgeschlagen, um das Gesamtwerk zu vollenden. Nein – damit konnte Joshua nicht leben, er wollte Klarheit.
Bornmeier schüttelte den Kopf. Der Staatsanwalt glaubte beim Anblick der Ermittlungsakten an einen schlechten Scherz. Joshua hatte Fabiola Meingold um Akteneinsicht gebeten. Ein Mitarbeiter der dortigen Staatsanwaltschaft sah sich berufen, den hochoffiziellen Dienstweg einzuhalten und schickte die angeforderten Unterlagen direkt mit einem Fahrzeug der Einsatzbereitschaft zur Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Sofort nach Eintreffen der Akten wurde Joshua in Bornmeiers Büro zitiert.
»Trempe, ich habe mich bereits daran gewöhnt, dass Sie sich in jeden Fall wie ein Terrier festbeißen.
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