Willenlos
Ich schätze Ihren Ehrgeiz, wirklich. Aber jetzt schießen Sie eindeutig über das Ziel hinaus!«
Mit den Fingern trommelte der Staatsanwalt nervös auf den Deckel der obersten Akte.
»Thalbach ist verurteilt, im Fall Hornbach wird in den nächsten Tagen Anklage erhoben. Verdammt noch mal, Trempe, was wollen Sie denn noch? Und warum zum Teufel mischen Sie sich jetzt in einen Fall der Bochumer Kollegen ein?«
Joshua blieb äußerlich gelassen. Er rechnete ohnehin nicht damit, dass Bornmeier sein Anliegen freudestrahlend aufnehmen würde. Ausführlich erklärte der Fahnder Bornmeier seine Zweifel. Er wies explizit auf die ihnen zugrunde liegenden Parallelen der beiden Fälle hin. Der Staatsanwalt strich sich über die wenigen, glatt liegenden Haare. Joshua hoffte auf eine Chance. Er wollte nicht mehr als zwei bis drei Tage, zur Not allein. Nach einer Minute faltete Bornmeier die Hände und beugte sich vor.
»Nein! Die Beweise sind eindeutig, ich sehe keine Veranlassung, alles neu aufzurollen.«
Joshua schluckte. Bornmeier war es doch persönlich, der erste Zweifel angemeldet hatte.
»In Ordnung. Lassen Sie mich nur die Ermittlungsakten der Bochumer durchsehen. Einen halben Tag, mehr verlange ich nicht.«
Bornmeier pumpte Luft in die Wangen. Die Augen zur Decke gerichtet, leerte er sie.
»Meinetwegen, aber dann ist Schluss!«
Joshua sprang mit einem Satz auf und nahm mit beiden Händen den Aktenstapel vom Schreibtisch. Bornmeier schüttelte ungläubig den Kopf.
15
Florenz List stocherte nachdenklich im Salat, während Annabelle, seine Frau, ihre morgendlichen Erlebnisse berichtete. Gelegentlich drang wie durch einen Dunstschleier der eine oder andere Verwendungszweck der goldenen Kreditkarte durch, was ihn aber nicht einmal am Rande interessierte. Für ihn war es nicht nachvollziehbar, mit welcher Hingabe sich die Damen bei gelegentlichen Cocktail- oder Barbecuepartys wie Trophäenjäger über die angesagtesten Shoppingmeilen austauschten.
Der angesehene Richter verbrachte die Mittagspausen regelmäßig in der heimischen Villa an der Holunderstraße in Düsseldorf-Stockum.
Die kleinen Garnelen aus dem Feinkostladen in der Grabenstraße waren wieder einmal vorzüglich. Leider fehlte Florenz List an diesem Mittag das kulinarische Feingefühl. Er konnte sich nicht mit dem angebrachten Genuss auf die Köstlichkeit einlassen. Der Alltag hatte einen Riss bekommen. Einen hauchdünnen, tiefen Einschnitt. Die eigenartig sonore Stimme des Mannes belagerte nachhaltig seine Sinne.
Ihn beschäftigten die Fragen, wer der Mann tatsächlich war und wie er es geschafft hatte, den Spickzettel mit dem Vermerk › Dringend ‹
,
gefolgt von der Handynummer, auf dem Richtertisch zu hinterlegen. Die knochigen Finger der rechten Hand lagen schon darüber, wollten ihn entsorgen. Irgendwas, vielleicht eine Ahnung, ließ den Schnipsel in die Brusttasche des Jacketts unter der Robe verschwinden. Später, auf dem Fahrersitz des weinroten Maserati, vernahm er leises Rascheln, während er sich anschnallte. Florenz List zog den Zettel empor und wählte die angegebene Handynummer.
»Schönen Gruß von unserem gemeinsamen Freund Georg Thalbach.«
Dieser Satz verursachte sofort höchste Anspannung. Florenz List, der eigentlich gleich wieder auflegen wollte, war neugierig geworden.
Mit Thalbach verband ihn eine lange Freundschaft, die ihre Wurzel in der gemeinsamen Zeit an der Uni hatte. Der Richter konnte und wollte nicht an Thalbachs Schuld glauben. Er hatte die Akten eingesehen, Verhörprotokolle gelesen, mit Polizisten gesprochen, bevor er sich der erdrückenden Beweislast gebeugt und der Bochumer Richter mit der Urteilsverkündung die Freundschaft beendet hatte. Einen verurteilten Mörder zum Freund, dies würde einem gesellschaftspolitischen Selbstmord gleichkommen. Noch dazu in seiner Position.
Er kannte eigentlich alle Freunde Georgs, jemand mit dieser Stimme war nicht darunter. Der Anrufer wollte sich mit ihm treffen, Florenz List fiel kein Grund dafür ein. Leise, mit gesenkter Stimme drang der Satz aus dem Mobiltelefon, der List immer noch durchs Bewusstsein kroch.
»Georg Thalbach ist unschuldig.«
16
»Los, uns bleibt nicht viel Zeit.«
Joshua atmete in kurzen Zügen. Zwei Blätter flogen vom Schreibtisch, als er den Aktenstapel fallen ließ.
»Hast du Bornmeier rumgekriegt?«, wollte Daniel wissen. Joshua ging nicht darauf ein, hastig zog er die drei obersten Schnellhefter vom Stapel und
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