Willenlos
beobachtend Richtung Janine und Joshua.
»Sie wissen es nicht. Wir können uns auch in der Küche unterhalten.«
»Nein, schon gut. Es ist … doch keine schlimme Krankheit.« Er gab sich einen leichten Ruck, die Anspannung verflog ein wenig.
»Lisa ist schwanger.«
Joshua stutzte. Er konnte darin keinen Grund für besondere Besorgnis erkennen. Lisa war zwar erst im Januar 17 Jahre alt geworden, Wut und Ärger hätte er verstehen können, nicht aber eine derart große Sorge und Niedergeschlagenheit. Siggi nahm die Verwunderung wahr.
»Es ist nicht so, wie ihr denkt. Selbstverständlich kann man bei einer 17-jährigen Tochter damit rechnen, auch wenn ich es nicht verstehen würde. Das ist es nicht.«
Joshua kam ein schrecklicher Verdacht.
»Ist sie …«
»Vergewaltigt worden?«, vollendete der Nachbar Joshuas Satz, »nein, zum Glück nicht. Lacht mich nicht aus, aber es gibt keinen Vater.«
»Bitte?«, entfuhr es Janine.
»Lisa hatte letztes Jahr im Dezember mit Mike Schluss gemacht, seitdem keinen Freund mehr. Sie schwört, seither auch keinen sexuellen Kontakt mehr gehabt zu haben. Sie«, Siggi Blankenagel schluckte, »ist völlig fertig. Sie sitzt den ganzen Tag über in ihrem Zimmer, isst kaum noch was und heult die ganze Zeit. Wir würden ihr gerne helfen, aber«, er räusperte sich, »wir schaffen es noch nicht einmal, ihr zu glauben.«
Verständlich, dachte Joshua. Er war verwirrt, konnte nicht fassen, dass Siggi, den er als aufgeschlossenen, modernen und intelligenten Menschen schätzte, ein solches Maß an Naivität aufbringen konnte.
»Aber es muss doch zumindest«, Joshua klang ratlos, »ich meine, eine Gelegenheit gegeben haben.«
Er wollte nicht mit dem Holzhammer auf ihn einschlagen, gewann den Eindruck, dass ein junges Mädchen einen Fehler begangen hatte und ihr nun der Mut fehlte, diesen zuzugeben.
»Ja, natürlich. Aber wir verstehen nicht, warum sie nicht mit uns spricht.«
»Das wird sie noch, lasst ihr Zeit.«
14
Joshua war sehr früh aus dem Haus gegangen. Tatendrang ließ ihn bereits um 5 Uhr wach werden. Daniel stand im hellblauen Pyjama im Türrahmen und betrachtete Joshua wie einen ungebetenen Versicherungsvertreter. Da beide in Krefeld wohnten, bildeten die Kollegen eine Fahrgemeinschaft. In dieser Woche war Joshua an der Reihe, Daniel um 7.30 Uhr abzuholen.
»Es ist 6.40 Uhr«, Daniel klang barsch.
»Ich weiß, es gibt viel Arbeit.«
Kopfschüttelnd lief Daniel durch den langen Flur und bog kurz vor dem Ende links ab Richtung Bad. Aus der Küche hörte Joshua den Wasserkocher gurgeln.
Mit einer Tasse Tee in der Hand ging Joshua ungeduldig durch die Wohnung. Im Wohnzimmer blieb er vor einer zwei Meter langen Regalwand aus Glas stehen. In drei Längsreihen befanden sich Einlegeböden, ebenfalls aus Glas, in unterschiedlichen Höhen. Winzige Strahler leuchteten das Gebilde aus. Auf drei Regalböden befanden sich mit seltsamem Muster verzierte Vasen. Daniel kam aus dem Bad und band im Laufen die Krawatte.
»Habe ich vorige Woche auf der Kö gesehen. Schweineteuer, aber toll, was?«
Joshua war leicht irritiert, ihm verschloss sich der tiefere Sinn für das Außergewöhnliche.
»Wozu brauchst du so was?«
Daniel verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf. Offenbar erwartete er einen vor staunender Anerkennung sprachlosen Kollegen.
»Das ist ein Raumteiler. Ein Einzelstück, handgefertigt aus echtem Bleikristall. Eine absolute Rarität. Darin kommen die Vasen erst richtig zur Geltung.«
Während Daniel Schuhspanner entfernte und mithilfe eines langen silbernen Löffels mit Elfenbeinkopf in die Schuhe schlüpfte, dachte Joshua noch an das Regal. Janine hob in einem alten Schrank im Keller einige Vasen auf, gelegentlich kam eine als Tischdekoration zum Einsatz. Unterwegs nach Düsseldorf klärte Daniel ihn auf.
»Das sind keine einfachen Vasen, sondern antike Kunstgegenstände von stetig steigendem Wert. Der neueste Anlagetrend, bringt höhere Zinsen als ein Sparvertrag.«
Joshua verzog den Mund. Er hatte sich mittlerweile an den Wohlstand des Kollegen gewöhnt. Daniel hatte ein Vermögen an den Börsen dieser Welt verdient. Es kam häufiger vor, dass Daniel mit einem Mausklick einen Betrag verdient hatte, für den Joshua sich monatelang mit menschlichen Abgründen beschäftigen musste. Für Daniel bedeutete Polizeiarbeit willkommene Ablenkung, vor allem aber die Fortsetzung einer uralten Familientradition. Seit Generationen dienten die van Blooms der
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