Willenlos
legte sie vor sich ab. Mit dem Zeigefinger als optische Führung überflog Joshua Vernehmungsprotokolle und Zeugenaussagen. Thalbachs Antworten, stellte er schnell fest, ähnelten denen Udo Hornbachs. Der Staatsanwalt konnte nicht die geringste Erklärung dafür finden, woher die Beweise stammten, vehement stritt er alles ab. Ein Zeuge hatte sein Auto gesehen. Es parkte in der Fußgängerzone neben einer Bank.
»Was haben wir denn da?«, meldete sich Daniel und wedelte mit einem Schwarz-Weiß-Foto in der Hand herum.
»Wurde von der automatischen Kamera eines Geldautomaten aufgenommen.«
Joshua verglich die Uhrzeit auf der Rückseite des Fotos mit dem Bericht der Rechtsmedizin. »Todeszeitpunkt zwischen 18 Uhr und 18.30 Uhr«, las er laut vor. Das Foto wurde um 18.37 Uhr aufgenommen. Joshua weckte den friedlich schlummernden Computer. Laut einer Verfügung aus dem letzten Monat musste bei jedem Gerät der Energiesparmodus aktiviert sein. Er überprüfte die Entfernung zwischen Tatort und dem Geldautomaten. Es handelte sich um nicht einmal zwei Kilometer.
»Eine Tankstelle, ein Geldautomat«, überlegte Karin.
»Das war Absicht. Jemand wollte, dass Thalbach erkannt wird. Ebenso verhielt es sich bei Udo Hornbach.«
»Stimmt, auffälliger geht es nicht. Thalbach fährt in die Fußgängerzone direkt vor den Automaten. Hornbach geht seelenruhig nach der Tat tanken. Sieht nach demselben Muster aus«, stellte Daniel fest.
Joshua begutachtete das Foto genauer. Im Hintergrund war schemenhaft die rechte Hälfte einer Person erkennbar. Es schien sich um einen älteren Mann zu handeln. Er blickte in die Richtung des Geldautomaten. Thalbach hielt etwas in der linken Hand. Joshua führte das Bild dichter an die Augen. Die Auflösung des Fotos war nicht besonders hoch, Joshua erkannte nicht, worum es sich handelte. Zwischenzeitlich kam Jack und wollte sich nach dem Stand der Vorbereitungen für die Einweisung erkundigen. Daniel erzählte ihm mit wenigen Worten von dem Fall Thalbach. Jack ließ sich von Joshua das Foto geben. Nach einem kurzen Blick darauf gab er es zurück.
»Ich tippe auf ein Handy. Aber was soll das? Thalbach ist ein intelligenter Mensch, warum macht der so was?«
»Das werde ich ihn persönlich fragen«, antwortete Joshua. Karin wollte ihn begleiten, Daniel in der Zwischenzeit die Akten zum Fall Hornbach zurückholen.
Karin verhielt sich unterwegs nach Bochum ausgesprochen ruhig. Joshua fiel schon länger auf, dass sie irgendwas bedrückte.
»Was ist los mit dir?«
Karin schrak zusammen, als hätte ihr Kollege sie aus einem tiefen Tagtraum gerissen.
»Nichts.«
»Du musst nicht drüber reden, aber das nehme ich dir nicht ab. Du bist total verändert in den letzten Wochen.«
Sie befanden sich mittlerweile auf der A 40, fuhren im Schritttempo auf eine Baustelle zu. Karin biss die Lippen aufeinander. Sie wollte reden, musste es. Joshua würde nicht aufgeben, er würde sich festbeißen in den Fall. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Spur entdecken würde. Karin kaute nervös auf der Unterlippe. Sie passierten die Baustelle, der Verkehr floss wieder normal weiter. Ulf ist unschuldig, redete sie sich unentwegt ein. Aber das waren Hornbach und Thalbach womöglich auch. Sie hielt ihren Freund für absolut ehrlich. Das Verhör hatte ihr Sicherheit gegeben, nachts um zwei, im Bett. Ulf hatte ihr die ganze Wahrheit gestanden. Klaus Dahlmann hatte ein Verhältnis mit Ulfs Frau gehabt, dies war der Grund für die Prügelei und auch für den Umzug gewesen. Karin hatte ihm stumm zugehört, sah keinen Grund zur Sorge, die vielen Jahre hatten eine dicke Kruste aus Vergessenheit wachsen lassen. Eine uralte Geschichte, ewig weit weg vom Mord an Dahlmann, dachte sie. Aber es gab kein Happy End, Ulf sprach weiter. Es war vor fünf Monaten, ein Abendkurs der Volkshochschule war aufgrund der Erkrankung mehrerer Teilnehmer überraschend kurzfristig abgesagt worden. Sie hatten nicht mit ihm gerechnet. Im Flur hörte er das wohlige Stöhnen Dahlmanns, die spitzen Lustschreie seiner Frau, die er nur noch aus den Tiefen der Erinnerung kannte. Karin bemerkte die feuchten Augen. Er hatte alles geopfert für diesen Neuanfang. Seinen Freundeskreis versiegen lassen, die Stelle als Konrektor aufgegeben, um an einer anderen Schule wieder einfacher Fachlehrer zu sein, die Eltern überredet, ihr Haus für ihn zu beleihen – alles umsonst.
Zum Schluss hatte Ulf behauptet, er könne ihre Gedanken lesen. Mit
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