Willenlos
doch allmählich erlöschen.«
Sulzer trank einen Schluck Kaffee, warf Daniel dabei einen mitleidigen Blick entgegen. Karin fragte sich, ob ihm die langen Haare und der Dreitagebart den Umgang in dieser Szene nicht schwerer machten.
»Kommt drauf an, wo man diese Zeit verbringt. Der Knast jedenfalls ist ein idealer Nährboden für rechtsradikales Gedankengut.«
Karin berichtete Sulzer in kurzen Sätzen über ihren Fall. So wie der Bewährungshelfer Roland Flander beschrieben hatte, schien es ihr unwahrscheinlich, dass er dazu in der Lage wäre, derartig perfide Verbrechen zu planen. Rolf Sulzer brachte einen anderen Aspekt.
»Das traue ich ihm ebenfalls nicht zu. Flander hatte damals einen Molotowcocktail durchs Fenster des Asylheims geworfen, den jemand anderes aus der Bande für ihn anfertigen musste. In seiner Wohnung haben wir damals einen zur Splitterbombe umgebauten Feuerlöscher gefunden. Die Bombe hatte einen äußerst raffinierten Zündmechanismus. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Flander ist zwar nicht der Hellste, macht aber, was seine sogenannten Parteigenossen ihm sagen. Planung und Material kommt von denen, Flander ist lediglich derjenige, der die Drecksarbeit macht und notfalls für seine Kumpel in den Bau geht. Die lachen sich vermutlich über den kaputt, leider kapiert er das nicht.«
»Wie sieht es umgekehrt aus«, wollte Daniel wissen, »würden diese Freunde ihm helfen, wenn er sich wegen des Urteils gegen ihn rächen will?«
»In dem Fall schon. Richter und Anwälte gehören nicht gerade zu deren Lieblingen.«
»Sie kümmern sich seit der Entlassung um ihn, richtig?«
Sulzer wog den Kopf hin und her.
»Einmal die Woche, ja. Aber er lässt mich nicht richtig an sich ran. Polizisten und Juristen gehören für ihn zur Staatsmafia. Von einem geplanten Rachefeldzug weiß ich nichts.«
»In Ordnung. Wir werden ihn vorladen.«
»Davon rate ich ab. Verhörzimmer sind für Flander ein rotes Tuch. Einmal dort, kriegt der den Mund nicht mehr auf. Das bekommen Neulinge der Szene als Erstes und Letztes beigebracht. Falls Sie möchten, begleite ich Sie zu ihm.«
Neben dem Eingang der maroden ehemaligen Lagerhalle in Oberhausen-Sterkrade hing ein halb abgerissener Metallbriefkasten, daneben eine angerostete Klingel mit der unfreundlichen Aufschrift ›Fuck You‹. Durch ein geöffnetes Fenster im ersten Stock drang monotone Musik nach außen. Sulzer schlug gegen eine Blechklappe in der Tür, streckte den Arm hindurch und öffnete. Die Wände des Treppenhauses waren mit übergroßen Hakenkreuzen beschmiert. Die Musik wurde mit jedem Schritt lauter.
Rolf Sulzer hämmerte an die Tür, als wolle er sie einschlagen. Sekunden später öffnete eine schmale Figur. Die Haare auf seinem Kopf waren nicht länger als einen halben Zentimeter. Er trug Unterhemd, Trainingshose und halbhohe Sportschuhe. Auf dem Bizeps des linken Oberarms war in altdeutscher Schrift das Wort ›Hass‹ eintätowiert.
»Hallo Roland«, der Bewährungshelfer musste schreien, »Frau Seitz und Herr van Bloom vom Landeskriminalamt möchten dich gern sprechen. Wenn du sie hereinlässt, ersparst du dir eine Vorladung.«
»Fuck. Du schleppst mir die Bullen an?«
»Wär’s dir lieber, dass sie dich abholen?«
Sulzer schubste ihn in den Flur. Karin und Daniel folgten ihm. Die Wohnung war ein einziges Chaos. Überall auf dem Boden lagen leere Dosen und Flaschen zwischen ausgetretenen Zigaretten. Sulzer ging in eine Ecke des Raumes und schaltete den Verstärker ab. Offensichtlich von der Ruhe angelockt, betrat eine junge Frau mit strähnigen, blonden Haaren den Raum. Das hautenge, dunkelgrüne Shirt trug den Aufdruck ›Scheiß Bullen‹. Daniel starrte sie wortlos an.
»Glotz ihr nicht auf die Titten, Bulle!«
»Mach halblang, Roland«, fuhr Sulzer dazwischen, »du hast immer noch Bewährung.«
Flander deutete mit dem Arm eine obszöne Geste an, rülpste lautstark. Karin betrachtete ihn mitleidig.
»Herr Flander, sagen Ihnen die Namen Thalbach, Rieger, Dahlmann, Hornbach, List oder Danzer etwas?«
»Und wenn?«
»Sie alle waren an Ihrer Gerichtsverhandlung beteiligt und sind entweder ermordet worden oder sitzen unschuldig im Gefängnis.«
Flander zögerte eine Sekunde, bevor ein breites Grinsen über sein Gesicht zog.
»Affengeil. Das ist wirklich saustark. Haben sie wenigstens schön gelitten, diese Wichser?«
Karin ballte ihre Hände. Sulzer schüttelte den Kopf. Er bedachte Flander mit
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