Willenlos
bereits nach drei Sätzen der Überzeugung gewesen, dem Falschen gegenüber zu sitzen. Mit wenig Hoffnung begab er sich erneut in den Verhörraum. Vorher warf er noch einen Blick durch die nur von dieser Seite aus einsehbare Scheibe auf Flander. Er war über den Tisch gebeugt, hielt das Gesicht in den Innenflächen seiner Hände begraben. Daniel wollte in der Zwischenzeit dessen Freundin befragen.
Joshua setzte sich und schaltete die Videokamera ein.
»Ich war es nicht, das müssen Sie mir glauben.«
Die Worte klangen weich, fast weinerlich. Seine Augen glänzten. Joshua nahm die Auswirkung des ersten Gesprächs mit Genugtuung zur Kenntnis.
»Sagt sich leicht.«
»Verdammt, ich habe 14 Jahre abgebrummt. Glauben Sie, ich möchte noch einen Tag da rein?«
»Sieht so aus. In Ihrer Wohnung haben die Kollegen Rauschgift und Waffen gefunden. Ganz schön dämlich, so was während der Bewährung zu Hause aufzubewahren, oder? Wozu brauchen Sie die Pistole?«
Flanders Wimpern flackerten, er schluckte, sein Adamsapfel bewegte sich deutlich sichtbar.
»Die … ähem … gehört mir nicht.«
»Ist klar.«
»Was ist, ich meine, wenn die Knarre meiner Freundin gehört?«
»Für den Fall bekommt sie mächtigen Ärger. Wir werden sie fragen.«
»Nein. Sie weiß nichts davon … Scheiße.«
Flander biss sich auf die Lippen. Joshua verging die Lust, sich mit derartigen Lappalien zu befassen. Während er auf Karin und Daniel wartete, hatte er sich das Protokoll der Gerichtsverhandlung durchgelesen. Flander war nach der Urteilsverkündung außer sich vor Zorn gewesen, hatte dem Gericht etliche Beleidigungen an den Kopf geworfen. Von einer Drohung war aber nicht die Rede gewesen. Er hielt Flander für einen armseligen Mitläufer ohne Selbstwertgefühl. Flander hatte seine Haftstrafe in der JVA Hagen abgesessen. Nach einem kurzen Telefonat mit der Gefängnisleitung wurde Joshuas Vermutung bestätigt. Auch Leon Bartram hatte seine Strafe in Hagen verbüßen müssen. Möglicherweise war das ein Weg.
»Kennen Sie Leon Bartram?«
»Der Doktor, ja klar. Der war drei Monate bei mir auf der Zelle. Der ist mir auf den Sack gegangen mit seinem Gejammer. Irgendwann habe ich ihm eine reingehauen, da haben sie ihn verlegt.«
»Worüber hatte er gejammert?«
»Na, dass er unschuldig wäre und alle umlegt, die ihn eingelocht haben, sobald er draußen ist«, Flander stockte, »genau. Fragen Sie den doch mal.«
»Werden wir.«
Joshua schaltete die Kamera ab und stand auf.
»Sagen Sie …«
Joshua blieb stehen. Flander senkte den Kopf, schien mühsam nach Worten zu suchen.
»Kann man die Sache nicht einfach vergessen? Bei Ihrer Kollegin kann ich mich ja mal entschuldigen.«
»Wird schwierig.«
»Glückwunsch, den hast du ganz schön weich gekocht«, begrüßte Karin ihren Kollegen.
»Mal sehen, wie lange der so weich bleibt. Ist eigentlich ein armes Würstchen. Wirst du die Entschuldigung annehmen?«
In dem Augenblick klingelte das Telefon.
»In einer halben Stunde«, sagte Joshua.
»Bartram ist so weit. Ich habe einen Bärenhunger. Begleitest du mich in die Kantine?«
Mit hängenden Mundwinkeln kam Daniel an ihren Tisch. Karin und Joshua verzehrten den Nachtisch. Daniel setzte sich neben Karin und legte einen Notizblock vor sich ab.
»Flander können wir vergessen. Zum Zeitpunkt von Dahlmanns Ermordung lag der Junge nach einem Überfall mit Schädeltrümmerbruch im Krankenhaus. Ich habe in der Klinik nachgefragt, die haben es bestätigt. Für den Mord an Gregor Danzer hat er ebenfalls ein Alibi. Parteiversammlung, angeblich 60 Zeugen, na ja.«
Karin und Joshua tauschten einen Blick.
»Bleibt nur noch Bartram in der Lostrommel«, folgerte Joshua. »Sollte der ebenfalls ein Alibi haben, können wir von vorn anfangen.«
37
Leon Bartram wartete bereits im Verhörzimmer. Joshua blätterte noch einmal in der Gerichtsakte, auf der Suche nach einem Ansatzpunkt. Liebend gern hätte erBartrams Wohnung sofort durchsuchen lassen. Leider fehlte ihm dazu die Legitimation. Eine vor Jahren ausgesprochene Drohung allein reichte nicht. Es galt nun, genügend Gründe für die Erteilung einer Durchsuchungsanordnung zu bekommen. Alles Weitere, war Joshua überzeugt, würde sich daraus ergeben.
Bartram war ein freier Mensch, es lag nichts gegen ihn vor. Joshua kam der Gedanke, übereilt gehandelt, Bartram gewarnt zu haben. Ihnen blieben genau 24 Stunden. Sollten sie bis dahin keinen
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