Willenlos
ausreichenden Grund für einen Haftbefehl haben, mussten sie ihn gehen lassen, so wollte es das Gesetz. Bartram hätte dann genügend Gelegenheit, alle Spuren zu beseitigen. Wie aber sah die Alternative aus? Bartram observieren, auf die Gefahr hin, dass er entwischt und es ein weiteres Opfer geben würde. Nein. Joshua musste sich auf diesen Wettlauf einlassen.
Er las das Protokoll der Schlussverhandlung. Nach dem Urteilsspruch war Bartram aufgesprungen und hatte wütend geschrien: »Das werdet ihr bereuen, alle!«
Die Drohung deckte sich mit der Aussage Flanders, stellte aber noch keinen Grund dar, Bartram dem Haftrichter vorzuführen. Joshua nahm sich Zeugenaussagen, las Vernehmungsprotokolle. Leon Bartram hatte seiner Frau wenige Tage vor deren Ermordung öffentlich eine Szene gemacht, ihr Untreue vorgeworfen. Bartram war bis dahin ein angesehener Mediziner, arbeitete als Oberarzt in der Privatklinik seines Vaters. Alles, bis auf die Aussage Bartrams, deutete auf ein Eifersuchtsdrama.
Joshua bat Karin, das Verhör mit ihm gemeinsam zu führen. Bartram galt als äußerst intelligent. Sie mussten nicht nur jedem seiner Worte höchste Aufmerksamkeit zukommen lassen, ihnen durfte auch nicht entgehen, was zwischen den Worten gesagt wurde, welcher Mimik er sich wann bediente. Sie mussten auf jedes Detail achten, um punktgenau wie mit einem Skalpell anzusetzen. Bevor sie herübergingen, warfen Karin und Joshua einen Blick durch die Scheibe in den Verhörraum. LeonBartram hatte die Hände im Nacken gefaltet, streckte sich entspannt. Er wirkte kein bisschen nervös, eher gelangweilt. Einen Anwalt hatte er erstaunt abgelehnt. Er wisse nicht, wozu er einen Anwalt benötige, hatte er lapidar und ohne die geringste Regung geantwortet.
Nachdem die Ermittler sich vorgestellt hatten, setzten sie sich zu Bartram an den kleinen Tisch. Joshua richtete die Videokamera neu aus und schaltete sie ein. Karin klärte ihn über seine Rechte auf. Mit einer Handbewegung deutete Bartram ihr die Sinnlosigkeit der Handlung an.
»Das kenne ich schon auswendig. Falls es Ihnen nichts ausmacht, würde ich vorschlagen, die Unterredung in unser aller Interesse abzukürzen.«
»Wir sind sehr gespannt, Herr Bartram«, ging Karin darauf ein. Es war ohnehin die denkbar günstigste Vorgehensweise, den Verdächtigen beginnen zu lassen. Joshua nahm mit einem mulmigen Gefühl Bartrams Gelassenheit entgegen.
»Nun denn. Ich nehme an, der Grund für diese Unterredung ist die Ermordung der Herren Rieger, Dahlmann und Danzer.«
Joshua nickte. Bereits beim ersten Anblick war ihm Bartrams Ähnlichkeit mit dem Phantombild aufgefallen.
»Dann ist ja alles in bester Ordnung.«
Karin und Joshua tauschten einen verwunderten Blick.
»Wissen Sie, die Polizei macht es sich bisweilen sehr leicht. Einmal Verbrecher – immer Verbrecher, nicht wahr? Ich muss zugeben, dem Umstand meiner – nennen wir es milde Einladung - anfangs äußerst pikiert gegenübergestanden zu haben. Jetzt, da ich den Grund kenne, bringe ich natürlich ein gewisses Maß an Verständnis dafür auf. Es ehrt mich, dass mir eine derart geradlinige Konsequenz zugetraut wird. Ich nehme an, Sie haben in Vorbereitung auf dieses Gespräch die Gerichtsakten gelesen. Daher werden Sie verstehen, dass sich meine Trauer über den Tod der Herrschaften in engen Grenzen hält. Ein Umstand, der im Übrigen kaum strafbar sein dürfte. Womit ich beim Thema bin. Sie sind vermutlich der Überzeugung, ich hätte meine Drohung wahrgemacht.«
»Allerdings«, antwortete Joshua.
»Dachte ich mir. Ich bin aufgrund der Umstände, die zu dieser Einladung führten, sehr gut gelaunt. Aus diesem Grunde reiche ich Ihnen einen kleinen Keil zur Unterstützung Ihrer Theorie: Ich verfüge zumindest für die Morde an Rieger und Dahlmann über kein Alibi. Zur Ermordung des Herrn Danzer fehlt mir der genaue Zeitpunkt. Da ich aber allein wohne und sehr zurückgezogen lebe, kann ich Ihnen sicherlich auch dabei dienen. Es steht also Eins zu Null für Sie. Andererseits verfügen Sie über keinerlei Indizien, die eine Inhaftierung meiner Wenigkeit rechtfertigen würden. Eins zu Eins. Ergo dürfte der Grundsatz gelten: In dubio pro reo.«
Bartram beugte sich halb über den Tisch.
»Oder können Sie den kleinsten Beweis für meine Schuld vorbringen?«
Für einen kurzen Augenblick war Joshua sprachlos. Bartram hatte es fertiggebracht, ihnen mit wenigen Sätzen den Wind aus den Segeln zu
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